Ob Gewichtheben als Muskelaufbautraining sinnvoll eingesetzt werden sollte oder nicht, hängt von einigen grundlegenden Vorüberlegungen ab. Zunächst sollte man sich darüber im Klaren sein, welche Zielsetzung man durch dem Muskelaufbau anstrebt. Die meisten Personen verfolgen ästhetische Aspekte und zielen auf eine Figurverbesserung ab. Für diese Zielsetzung sind die klassischen Bodybuildingmethoden bestens geeignet.
Zudem sind die meisten Übungen aus dem BB-Bereich koordinativ unkompliziert und damit einfach in die Trainingspraxis zu integrieren. Ein wesentlicher Vorteil ist, dass jeder Muskel gezielt isoliert werden kann, was eine genaue Steuerung des optischen Erscheinungsbildes ermöglicht. Wem es also ausschließlich darum geht einen athletischen Körperbau zu bekommen, hat kaum einen Anlass über Gewichtheben nachzudenken.
Wann kommt Gewichtheben in Frage?
Vergleichen wir das Übungsangebot des Gewichthebens mit dem konventionellen Repertoire, so lässt sich feststellen, dass Gewichtheber-Übungen stets den gesamten Körper als eine Einheit beanspruchen, während man im Bodybuilding- bzw. Fitnesstraining überwiegend Teilkörper- bzw- Isolationsübungen absolviert. Beide Konzepte haben Vor- und Nachteile:
Ein unausgewogenes Training ist durch die Ganzheitlichkeit der Gewichtheber-Übungen kaum möglich und es können weniger Fehler im Gesamtkörperbau gemacht werden. Man unterliegt nicht der Gefahr eine Vorliebe für „Lieblingsmuskelgruppen“ zu entwickeln. Wichtiger noch sind die Faktoren Koordination und Bewegungslernen. Wem diese Punkte wichtig sind, kann auf Gewichtheben setzen.
Gewichtheben stellt jedoch höhere athletische Anforderungen. So wird neben der reinen Kraftfähigkeit ebenso ein hohes Maß an Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination gefordert. Athleten, die bereits über eine gewisse Erfahrung im Krafttraining verfügen und sich am Gewichtheben versuchen, stehen oft vor dem Problem, dass ihr Kraftniveau ihre technischen Fertigkeiten – besonders bei den Kernübungen Reissen und Stossen – weit übertrifft. Somit können diese Übungen kaum einen trainingswirksamen Reiz erzielen, weil die Intensität nicht hoch genug ist, um über ein Techniktraining hinausgehen zu können. Dieses Manko kann jedoch durch die Verwendung gewichthebespezifische Überkopf-, Kniebeugen-, Umsatz- oder Zugkomplexe abgepuffert werden.
Sportler, die planen in eine höhere Gewichtsklasse zu wechseln, sind nicht nur auf ein Muskeldickenwachstum angewiesen, sondern benötigen idealerweise eine proportionale Kraftsteigerung. In diesem Zusammenhang werden in Vladimir Zatsiorsky’s Standarwerk Science and Practice of Strength Training (V.M. ZATSIORSKY, 2008) die Begriffe der sarkoplasmatischen und myofibrillären Hypertrophie erwähnt. Sarkoplasmatische Hypertrophie charakterisiert eine Muskelquerschnittsvergrößerung durch Volumenzunahme des Zellplasmas, in der die Muskelfasern „schwimmen“. Die Vermehrung von nicht-kontraktilen Proteinen führt zu einer Verringerung der Muskelfaserdichte. Myofibrilläre Hypertrophie bezeichnet eine Vermehrung der Myofibrillen, die als kontraktile Elemente primär für die Erzeugung von Kraft verantwortlich sind. Die Vermehrung der Myofibrillen innerhalb der Muskelfaser führt zu einem Dickenwachstum der einzelnen Fasern.
ZATSIORSKY erwähnt, dass jedes Krafttraining zu einem Mix aus beiden Hypertrophieformen führt. Welche Form nun stärker ausgeprägt wird, hängt von der Art des Krafttrainings ab. Elite-Gewichtheber verfügen beispielsweise über die am stärksten ausgeprägte myofibrilläre Hypertrophie, wohingegen Bodybuilder vermehrt sarkoplasmatische Hypertrophie aufweisen. Wenn es um Muskelaufbau mit einer maximalen Kraftsteigerung gehen soll, ist eine Trainingsform zu wählen, die in erster Linie myofibrilläre Hypertrophie bewirkt. Dies geschieht am besten in einem Wiederholungsbereich von 1-5, wohin klassische Bodyuildingmethoden im Bereich von 6-15 Wiederholungen angesiedelt sind.
Die Effektivität eines Trainings hängt jedoch nicht nur von der Wiederholungszahl ab, sondern ebenso von der geeigneten Übungsauswahl. Alle Übungskomplexe aus dem Gewichtheben sind dadurch charakterisiert, dass man den Körper selbst stabilisieren muss und die Bewegungen näher an den tatsächlichen Anforderungen des Sportbereichs liegen. Sportliche Bewegungen unterliegen im Allgemeinen mehr oder weniger stark ausgeprägten Dynamikverläufen. Im Krafttraining sind somit auch Schnellkraftkomponenten gefordert, was durch das Gewichtheben sehr gut abgedeckt werden kann. Hier wären Bodybuildingmethoden weniger sinnvoll, da diese nicht über die nötige sportartspezifische Kinetik und Kinematik verfügen. Das Reissen entspricht beispielsweise eher einer sportlichen Bewegung als die Beinpresse.
Die Konzepte der sarkoplasmatischen und myofibrillären Hypertrophie verdeutlichen, dass viel Muskelmasse nicht mit mit viel Kraft gleichzusetzen ist. In der Sportgeschichte wurde diese Fehlannahme bereits Anfang der 80er Jahre begangen, als die Bodybuildingbewegung ihren Siegeszug in den USA antrat. Bodybuilding wurde dort zum Synonym für Krafttraining. Die Ausuferung der Muskelmasse=Kraft-Mentalität führte die US-Athleten im Kraft- und Schnellkraftpsort jedoch in eine Sackgasse: Beispielweise war die damalige Generation der US-Gewichtheber im Gegensatz zur ihren Vorgängern sehr muskulös, sie hatten jedoch gegen die viel weniger muskulösen Osteuropäer keine Chance, wenn es ans Heben des Eisens ging. Dieses Beispiel verdeutlicht noch einmal wie wichtig eine klare Vorstellung der Zielsetzung ist:
- Wieviel Muskeln?
- Wieviel Kraft?
- Wofür?
Nachteile des Gewichthebens in Bezug auf den Muskelaufbau
Die Schwung- und Beschleunigungscharkterik der Übungen im Gewichtheben verhindern eine gleimäßig hohe Muskelspannung und die damit verbundenen metabolischen Reaktionen, die für eine optimale Hypertrophie nötig ist. Hinzu kommt das fehlen der so wichtigen exzentrischen Bewegungsphase für den Muskelaufbau. Vorallem die Wettkampfübungen Reißen und Stoßen sind für dieses Ziel daher nicht geeignet. Je geringer die Schnellkraftkomponente bei der jeweiligen Übung eine Rolle spielt, desto besser gelingt der Kompromiss, was den reinen Muskelaufbau angeht. Die grundlegende Divergenz zwischen Muskeltraining und Krafttraining hat Marco Toigo (2006) in seinem hervorragenden Artikel zu den trainingsrelevanten Determinanten der molekularen und zellulären Skelettmuskeladaptation beschrieben.
Übungskomplexe
Neben einem Trainingsplan können alternativ auch einzelne Übungskomplexe in den persönlichen Trainingsplan integriert werden. Als Beispiel wäre der Komplex Umsetzen und Frontkniebeuge zu nennen. Diese Kombination schafft eine höhere Gesamtwiederholungszahl pro Satz, was sich günstig auf die Hypertrophie auswirkt. Gleichzeitig wird der Umsatz und die Kniebeuge auf 3 Wiederholungen beschränkt, was ermüdungsbedingten Verschlechterungen der Technik entgegenwirkt. Zudem macht die Kombination aus zwei Übungen auch noch sehr viel Spaß und kann dazu beitragen durch neue Reize eine Trainingsplateau zu überwinden.
Exemplarischer Trainingsplan
Bei diesem Trainingsplan handelt es sich um ein beispielhaftes 3-Tage-Programm, bei dem der Schwerpunkt auf Gewichtheben liegt. Ich habe versucht das beste aus beiden Welten zu vereinigen. Die Intensitäten und Wiederholungen sind bei den Gewichtheber-Übungen auf myofibrilläre Hypertrophie ausgelegt. Ergänzt wird der Plan durch klassische Kraftübungen, wie Lastheben, Bankdrücken und Klimmzüge. Zur optimalen Individualisierung kann das Programm mit Teilkörper- oder Isolationsübungen ergänzt werden.
Die Trainingsperiode mit diesem Plan beträgt 2×4 Wochen. Nach den ersten 4 Wochen sollte eine Woche mit geringerer Intensität trainiert werden. Dies wären etwa 60% des 1 RM oder 85% des verwendeten Trainingsgewichtes. Nach den zweiten 4 Wochen sollten bei den wichtigen Übungen, wie z.B. wie Kniebeugen, Überkopf-Komplexen, Reißen, Umsetzen&Stoßen, Bankdrücken noch einmal die 1 RMs getestet werden.
Gewichtheben als Muskelaufbautraining | ||
Übung | WH x Sätze | Tag |
Umsetzen mit isometrischen Haltungen
Schwungdrücken Kniebeugen hinten |
3 x 3 6 x 3 10 x 3 |
Montag |
Pause
|
Dienstag | |
Lastheben Bankdrücken Klimmzüge 2 Ergänzungsübungen OK |
5 x 5 8 x 5 WM x 3 8-12 x 3 |
Mittwoch |
Pause
|
Donnerstag | |
Reißen mit isometrischen Haltungen
Kniebeugen vorne Kraftdrücken 2 Ergänzungsübungen OK
|
3 x 3 |
Freitag |
Pause | Samstag | |
Pause | Sonntag |
Abkürzungsverzeichnis
WH: Wiederholungen
INT: Intensität: Prozentualer Anteil des 1RM
1RM: Repetition Maximum: Bestleistung für eine Wiederholung
TM: Steigern auf das Tagesmaximum [Tagesbestleistung] für 1WH
KW: Eigenes Körpergewicht
OK: Oberkörper
Ergänzungübungen OK: Ergänzungübungen für den Oberkörper. Hier können individuelle Teilkörper- oder Isolationübungen nach dem persönlichen Bedarf integriert werden.
WM: Maximale Wiederholungszahl im Sinne vom WM [Wiederholungsmaximum]