Diese ausführliche Buchrezension von Jonas Meissner stellt einige kritische Fragen an Michael Boyle und seinem Functional Training.
Michael Boyle gehört zu den zahlreichen Functional Training Gurus wie Gray Cook, Greg Rose und den vielen andere der US-Szene, die allesamt mit der Firma Perform Better verbandelt sind, die auch gleich die passenden Produkte und Fortbildungen dazu anbietet. Für jedes überteuerte Produkt wird eine Level-X Certification angeboten, was nichts anderes als eine Bedienungsanleitung ist. Michael Boyle hat, wie alle „guten“ Functional Trainer, vor allem ein sehr gutes Marketing, was ihn als Trainer vieler Spitzensportler ausweist. Da die nach seinen Angaben von ihm und seinem Team betreuten Athleten schon Leistungs- und Spitzensportler sind, seien sie meist auch sehr erfolgreich. Ob Boyle sie jedoch auch erfolgreich gemacht oder sie bereits vorher schon erfolgreich waren, ist weder dem Buch noch seiner Vita zu entnehmen. Den Erfolg schließt Michael Boyle teilweise auf sich und sein Konzept zurück. Eigentlich gibt es für ihn nur sein Trainingssystem und alle anderen Trainer sollten dies kopieren, da er ja schließlich sehr erfolgreich mit diesem System ist. Aus diesem Grund hat Michael Boyle sein zweites Buch im Jahre 2009 im „on Target Publications“ Verlag unter dem Titel „Advances in Functional Training. Training Techniques for Coaches, Personal Trainers and Athletes.“ herausgebracht. 2011 brachte der Riva Verlag das Buch auf deutsch heraus. Der Riva Verlag steht eher für kurzlebige Trends als solide Fachliteratur. Von Bushido’s Biografie bis zum I make you sexy Kochbuch scheint sich der Themen-Cocktail doch eher an den Lesern von Bild oder Gala zu orientieren, als an Fachleuten aus dem Sportbereich.
Ich muss zugeben, dass ich das Buch „Jeder Tag zählt“ von Mark Verstegen zwar interessant und lesenswert fand, die selbstverliebte Schreibweise und die Schubladenaussagen aber nicht meinen Erwartungen entsprachen. Was Mark Verstegens Buch mit Michael Bole zu tun hat? Michael Boyle wurde von Mark Verstegen teilweise geprägt. Daher geht diesem Buch ein Vorwort von Mark Verstegen heraus. Er nutzt das Vorwort als eine Art Rückblick von der gemeinsamen Arbeit, was eigentlich interessant ist.
Das zweite Vorwort ist von Alwyn Cosgrove. Wie das Lebens so spielt, sind sich die beiden auf einem Perform-Better Seminar begegnet. An dieser Stelle fällt das erste mal auf, dass (wahrscheinlich) aus Marketinggründen immer die Markennamen genannt werden. In jedem anderen Buch wäre lediglich von einer Fortbildung die Rede gewesen. Nichtsdestotrotz wirkt Alwyn Cosgrove sehr bescheiden und sympathisch. In dem Vorwort kommt heraus, dass er Michael Boyle und dessen Arbeit hoch schätzt. An dieser Stelle wird auch der Grund genannt, weshalb ich jedem empfehlen kann dieses Buch zu lesen.
Dieses Buch enthält das Wissen eines erfolgreichen Trainers, welcher mehr als 25 Jahre in der Fitnessbranche gearbeitet hat und immer noch arbeitet. Egal in welcher Art man zum Functional Training steht und egal wie man diese Kommerz orientierten Trainer degoutiert, es ist es sinnvoll dieses Buch zu lesen. Ich habe mir dieses Buch z.B. gekauft um den vielen Anhängern des Functional Trainings Gegenargumente zu liefern und natürlich auch gleichzeitig mein Athletiktraining zu begründen. Nicht alles, was gerade im Trend liegt sollte ungeprüft aufgenommen werden. Einige Trainer haben zu mir gesagt, dass ich mich doch nicht als besseren Trainer als Michael Boyle einstufen sollte und das was Michael Boyle macht absolut sinnvoll und richtig ist. Daher wenden sie dies auch für ihre Athleten an, was sie mir auch empfehlen würden. Wenn jeder nur das der Konzept der besten Trainer kopieren würde, gäbe es keine Weiterentwicklung mehr. Ich selber nehme keine Einstufungen von Trainern vor und würde nie sagen, ich sei der beste. Ich sehe lediglich das Functional Training kritisch. Ich persönlich halte auch nichts von den Trainern, die ein bestimmtes Produkt oder ein Konzept (z.B. Functional Training) als das einzig Wahre bezeichnen. Ich hoffe ich kann mit diesem Abschnitt auch die Kritiker dieses Systems aufmuntern dieses Buch zu lesen. Nicht weil ich es in kommerzieller Weise unterstützen möchte, sondern weil ich der Meinung bin, dass jeder die Hintergründe dieses Systems kennen und sich eine Meinung bilden sollte. Nun zurück zum Buch.
Das Buch ist in 12 Kapitel unterteilt. Ich habe mir die Mühe gemacht und die Unterkapitel gezählt, es sind wahrhaftig 178. Allerdings gibt es keine dritte Ebene. Der Aufbau ist daher sehr simpel und trotzdem unübersichtlich. Es erscheint mir so als hätte Michael Boyle sein Wissen sowie seine Erfahrungen und Meinungen einfach herunter geschrieben, ohne sie zu ordnen. Das Buch hat ohne das Register und die Vorwörter 207 Seiten. Es bleiben also Im Schnitt 1,16 Seiten pro Unterkapitel. Einige Unterkapitel besitzen somit nur sehr wenig Inhalt. Alle 178 Unterkapitel aufzuzählen macht keinen Sinn. Daher stelle ich lediglich die 12 Kapitel und meine dazugehörigen Fragen vor.
Kapitel 1: Überblick und allgemeine Betrachtung des funktionellen Trainings…
definiert das funktionelle Training und dessen Ziele. An dieser Stelle erwähnt Michael Boyle immer wieder sein oberstes Ziel: Die Verletzungsprophylaxe. Und an dieser Stelle sehe ich den Hauptkritikpunkt dieses Systems. Das Aufgabengebiet eines Trainers im Leistungssport sollte meiner Meinung nach nicht primär die Verletzungsprophylaxe, sondern vor allem die Planung und Steuerung des Trainings mit seinen Leistungskomponenten sein. Die Verletzungsprophylaxe ist Aufgabe der Physiotherapeuten. Was bringen einem viele gesunde Athleten, die nur 20cm hoch springen können, die die 100m in 15 Sekunden laufen, die 40kg auf der Bank drücken und die eine Kniebeuge lediglich mit einem Besenstiel ausführen können? Dies gehört meiner Meinung nach in den Gesundheitsport.
Natürlich ist das Vermeiden von Verletzungen im Leistungssport wichtig, denn nur gesunde Athleten können Leistung erbringen. Allerdings bleibt die Leistung das oberste Ziel. Boyle schreibt auf S. 18, dass er die Übungsformen so auswählt, dass die Verletzungsgefahr reduziert wird und dabei gleichzeitig die Leistungsfähigkeit verbessert wird. Ich wähle jedoch die
Übungen danach aus, dass die Leistung gesteigert und dabei gleichzeitig die Verletzungsgefahr reduziert wird. Was ihr im Leistungssport sinnvoller findet, müsst ihr selber entscheiden. Boyle empfiehlt auf S. 19, dass insbesondere Anfänger regelmäßig Übungen mit dem eigen Körpergewicht ausführen sollten. Nehmen wir an dieser Stelle eine übergewichtige Frau oder einen dünnen wenig muskulösen Jugendlichen. Beide Anfänger wären sehr deprimiert, wenn sie Übungen mit dem eigenen Körpergewicht ausführen müssten. Darüber hinaus steigt die Verletzungs- und Überlastungsgefahr. Ein Training mit Kurz- oder Langhanteln bei denen das Gewicht individuell angepasst werden kann sehe ich als sinnvoller an.
Michael Boyle begründet dies durch den „guten Trainingseffekt dieser Übungen“ (S.19). Warum der Trainingseffekt einer Liegestütz besser sein soll als beim Bankdrücken ist mir jedoch schleierhaft. Kommen wir zur Technik. Boyle ist der Meinung, dass Trainingsübungen nur mit Gewicht belastet werden dürfen, wenn diese technisch einwandfrei ausgeführt werden können. Dies klingt zunächst logisch und wird daher von vielen Trainern zitiert und gehandhabt. Ich sehe dies auch so, wenn allerdings keine Kniebeugen absolviert werden können sollte man nicht die gesamte Trainingszeit mit einem Techniktraining verwenden, sondern Alternativübungen finden.
Ich sehe die Beinpresse z.B. als eine gute Übung an um Muskeln und Kraft in den Beinen aufzubauen. Die Anhänger vom Functional Training sehen dies nicht so, da diese Übung nicht „funktional“ ist. Natürlich ist bei der Beinpresse nicht der gleiche Transfereffekt für den Vertikalsprung gegeben wie bei der Kniebeuge. Allerdings ist einer vorhanden, der nicht unbeachtet werden sollte. In der trainingswissenschaftlichen Literatur wird zudem deutlich darauf hingewiesen, dass es im Rahmen eines allgemeinen ergänzenden Krafttrainings nicht messbar entscheidend ist, womit man seine Muskelkraft steigert. Ein Transfer ist in erster Linie durch die Wettkampfübung selbst zu erreichen und nicht durch funktionelle Ergänzungsübungen.
Meine Meinung ist daher, dass Übungen technisch einwandfrei ausgeführt werden müssen. Solange dies nicht möglich ist sollte ein Techniktraining erfolgen und auf koordinativ weniger anspruchsvolle Übungen zurückgegriffen werden. Des Weiteren darf nach Michael Boyle bei den Kraftübungen kein Schwung geholt werden. Ich sehe jedoch genau dieses Verbot als
besonders funktionell an, da in allen möglichen Sportarten und leichtathletischen Disziplinen Schwung geholt werden muss. Darüber hinaus ist das „Cheating“ eine anerkannte Intensitätstechnik, wodurch durch die zu Hilfenahme eines Synergisten noch ein paar Wiederholungen absolviert werden. Auf Seite 21 schreibt Boyle, dass die funktionellste Unterkörperübung die einbeinige Kniebeuge auf instabiler Oberfläche ist. Zunächst wird Basketball und Handball z.B. auf keiner instabilen Oberfläche ausgeführt, daher ist es fraglich ob diese Funktion über ein bestimmtes Maß hinaus trainiert werden muss.
Wer diese Übung schon einmal durchgeführt hat, weiß auch wie schwer diese Übung ist. Es scheitert meist an vielen koordinativen Fähigkeiten – nicht aber an der Kraft. Diese Übung als Kraftübung für Jedermann anzusehen steht daher auch in Frage. Weiterhin schreibt Boyle, dass in den meisten Kraftprogrammen auf Oberkörperzugübungen wie Klimmzüge oder Ruderbewegungen zu wenig Wert gelegt wird (S. 21). Seid ihr auch dieser Meinung? Ich kenne sehr viele Trainer aus vielen verschiedenen Bereichen und habe dies nicht wahrgenommen. Woher hat Boyle also diese Information? Das werde ich mich im laufe des Buches jedoch noch öfters fragen. Ein gutes Kraftprogramm beinhaltet nach Michael Boyle mindestens je drei Sätze von verschiedenen Klimmzugübungen und weitere drei Sätze von zwei verschiedenen Ruderbewegungen (S. 22). Einem so großen und erfolgreichen Trainer hätte ich doch etwas tiefgründigere Aussagen zugetraut. Nein, bitte lasst eine übergewichtige Frau keine drei Sätze Klimmzüge absolvieren. Glaubt mir, sie wird nie wieder zu euch kommen.
Kapitel 2: Mobilität und Flexibilität
Es beginnt mit dem Gelenk-für Gelenk-Ansatz, was ich nicht weiter ausführe. Allerdings wird anhand des folgenden Zitates deutlich, wie wichtig den Functional Training Gurus das Marketing und die Bekanntheit ist: „Heute ist der Gelenk-für-Gelenk-Ansatz unter Fachleuten allgemein bekannt – so bekannt, dass häufig sogar vergessen wird, Gray Cook oder mich als Entwickler dieser Idee zu nennen.“ (S. 25) Auf S. 27 ermutigt Boyle zum weiterlesen: „Lesen Sie weiter. Mit jeder neuen Erkenntnis werden Sie ein besserer Trainer und Pädagoge…“ Na gut – weiter geht’s!
Wir kommen zu der funktionellen Bewegungsprüfung und dem Einsatz des Functional-Movement-Screens (FMS). Zum FMS muss an dieser Stelle nicht viel gesagt werden, denn die sportwissenschaftlche Faktenlage wurde bereits ausführlich in Ausgabe 4-2014 des eMagazins der Eisenklinik dargestellt. Kurz zusammengefasst: Der FMS kann die Testgütekriterien, insbesondere die Validität nicht erfüllen. Erinnert euch aber doch einmal kurz an meine Kritik zu Beginn des Artikels zurück. Ich sehe, im Gegensatz zu Boyle, das Aufgabengebiet des Trainers im Leistungssport, in der trainingswissenschaftlich begründeten Entwicklung der sportlichen Leistungskomponenten, statt in der therapeutischen Verletzungsprophylaxe. Nun schreibt Boyle (S. 27): „Mein oberstes Ziel ist es, die Leistungfähigkeit der Athleten zu erhöhen, und um dies zu erreichen, müssen sie weitgehend verletzungsfrei bleiben“. Ich sehe dies als Widerspruch. Entweder ist das oberste Ziel die Verletzungsprophylaxe, die Leistungsfähigkeit oder es wird gleich gewichtet. Nicht einmal das eine und dann wieder das andere, dies ist für mich unglaubwürdig. Michael Boyle schreibt selbst, dass der FMS ein „probates Mittel“ ist, um ein Trainingsprogramm zu verkaufen.
Nach der Thematisierung des FMS folgen weitere Unterkapitel mit Aussagen die ich kritisch sehe und gerne erwähnen würde, allerdings sprengt dies den Umfang dieses Artikels. Der Kniebeuge sind aber anschließend mehr als eine komplette Seite gewidmet. Er geht darauf ein, ob die Knie über die Fußspitzen gehen dürfen und wie tief der Athlet bei der Kniebeuge gehen sollte. Ob die ganze Kniebeuge à la Boyle einer wirklich ganzen Kniebeuge entspricht muss ich aber wieder bezweifeln, da sich nach Boyle bei der ganzen Kniebeuge die Oberschenkel parallel zum Boden befinden. Es folgen verschiedene Übungen die eigentlich altbekannt sein sollten. Darüber hinaus wird der Foam Roller, Massagen und das Dehnen erwähnt. Beim Thema Dehnen fehlen mir zu den Aussagen von Boyle Quellenangaben. Er sagt z.B., dass Muskelkater durch Dehnen verhindert werden kann und dass die Pausenzeiten zwischen den Kraftsätzen zum Dehnen genutzt werden sollten (S. 45). Solche Aussagen müssen einfach belegt werden, da sie vor dem Hintergrund der sportwissenschaftlichen Faktenlage anzuzweifeln sind.
Kapitel 3: Verletzungen
Ich muss gestehen, dass ich mich weniger für Verletzungen sondern mehr für Training interessiere. Ich bin der Meinung das die Physiotherapie vom leistungssportlichen Training deutlicher getrennt werden sollte. Physiotherapie sollte zur Regeneration von Verletzungen beitragen und Training die Leistung steigern. Zusätzlich wirkt sich das Krafttraining meist automatisch prophylaktisch auf Verletzungen aus. Obwohl mein Kenntnisstand in der Physiotherapie sehr gering ist, bin ich mit einigen Aussagen des Kapitels nicht einverstanden.
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„Verletzungen sind nie losgelöst von der funktionellen Anatomie und physikalischen Verletzungen zu betrachten. Die Ursache für eine Verletzung liegt nämlich in aller Regel nicht beim verletzten Muskel selbst.“ (S. 47).
An dieser Stelle fallen mir dutzende Beispiele ein. Z.B. der Zusammenprall mit einem Gegenspieler. Michael Boyle sieht Verletzungen immer nur als Überlastungen oder Fehlhaltung und nie als Sportunfälle an. Ich denke dies ist nicht richtig.
Dies sehe ich mal wieder nicht so. Sportunfälle passieren und sind schwer zu beeinflussen.
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„Sehen wir der Realität ins Auge: Wer Sport treibt wird sich verletzen.“ (S. 47)
Auch dies sehe ich mal wieder anders. Zunächst sollte Sport treiben von trainieren unterschieden werden. Beim Sport treiben sollte die Verletzungsgefahr eigentlich sehr gering sein, sonst würde es kein Arzt mehr empfehlen. Beim trainieren besteht natürlich ein gewisses Verletzungsrisiko. Doch wenn sich ein Athlet verletzt ist die Karriere meist vorbei. Es gibt daher sehr viele Topathleten, die sich noch nicht verletzt haben.
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„Ältere Sportler führen beispielsweise in der Regel keine traditionellen Kniebeugen bzw. Gewichthebeübungen aus. Stattdessen absolvieren wir Sprungkniebeugen, Kettlebellschwingen und zahlreiche einbeinige Übungen (…) „ (S. 47)
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass diese Übungen ein geringeres Verletzungsrisiko aufweisen. Noch weniger kann ich mir vorstellen einen 70 jährigen mit Sprungkniebeugen zu trainieren. Aber Boyle hat auch kein Alter angegeben, daher lässt die Bezeichnung „ältere Sportler“ einen breiten Interpretationsspielraum.
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„Kraftübungen müssen immer mit kompletten Bewegungsumfang absolviert werden. Wenn der Sportler seine Bewegung abfälscht oder verkürzt, heißt das, er hat ein Problem.“ (S. 48)
Nicht immer muss ein Sportler ein Problem haben. Abfälschen und verkürzen ist eine anerkannte Intensitätstechnik. Und wenn der Sportler ein Problem hat, muss dies nicht immer therapiebeürftig sein. Wenn Jemand z.B. aufgrund seiner individuellen Körperstrukturen keine tiefe Kniebeugen ausführen kann, finde ich es legitim eine halbe zu absolvieren.
Ich könnte noch viele weitere Sätze zitieren und kritisieren, allerdings liegen noch 9 Kapitel vor uns. Daher gebe ich nur noch zwei Überschriften von Boyle wieder und ihr dürft euch selber eine Meinung bilden:
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„Nein zur Beinpresse“ (S. 49)
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„Vergessen Sie konventionelles Kreuzheben“ (S.49)
Boyle geht im folgendem noch auf die Tendinose, Rotatorenmanschette, Knieschmerzen, Kreuzbandriss, Sportlerleiste und Leistenbruch ein. Seine Meinung zu diesen Themen zu lesen ist auf jeden Fall sehr interessant und sinnvoll.
Kapitel 4: Training des Rumpfes
In diesem Kapitel beschreibt Boyle zu Beginn eine brandneue Erkenntnis: „Heute wissen wir zum Beispiel, dass es nicht reicht, Kniebeugen zu machen, um den Rumpf zu trainieren. Kniebeugen bauen zwar sehr effektiv die Rückenstrecker wie den M. Longissimus und die Mm. Multifidi auf, lassen aber die Vorderseite des Rumpfes quasi unberührt (…)“. Das Boyle dies zuvor wirklich erwartet hat, erschreckt mich doch ein wenig. Dieses Kapitel ist im Weiteren sehr interessant, besonders weil Boyle des Öfteren sein vorheriges Vorgehen kritisiert, was sehr ehrlich und sympathisch ist. Diese Stärke besitzt nicht jeder Trainer. Er ist z.B. der Meinung, dass alte, eingelenkige (unfunktionelle) Übungen ihre Daseinsberechtigt haben (S.75). Die (wirklich) neuen Erkenntnisse zum Rotationstraining (S.76) sind wirklich sehr interessant und logisch. Einige Übungen werde ich zukünftig in das Athletikprogramm meiner Sportmannschaften mit einbauen. Mit diesem Kapitel beginnt auch der interessante und meiner Meinung nach sinnvolle Teil des Buches. Daher fallen die Kapitelbeschreibungen etwas kürzer aus.
Kapitel 5: Training der Hüfte
Ich höre sehr oft, dass die Hüftbeuger in unserer Gesellschaft nicht trainiert werden sollten, da wir alle schon sehr viel Sitzen und die Hüftbeuger verkürzt sind. Boyle schreibt hierzu: „Der Gluteus ist zwar lang und schwach, die Hüftbeuger sind verkürzt… das macht sie aber noch lange nicht stark!“ (S.85). Genau das ist der Punkt, warum auch die Hüftbeuger auch trainiert werden sollte. Es folgen viele Übungen für die Hüfte, die allerdings alle wenig mit „richtigem“ Krafttraining zu tun haben, sondern mit Gymnastik. Es geht zu sehr in die physiotherapeutische Richtung.
Kapitel 6: Herz-Kreislauf-Training…
ist das beste und interessanteste Kapitel des Buches und allein deswegen lohnt sich schon der Kauf. Das Ausdauertraining ist für maximale Geschwindigkeiten, Sprunghöhen aber auch maximale Gewichte beim Krafttraining (Gewichtheben, Kraftdreikampf) oder dem maximalen Muskelzuwachs einfach kontraproduktiv. Die Fähigkeit, bei kurzen Antritten möglichst schnell zu sein, beißt sich meist mit den Anpassungen eines Ausdauertrainings. Diese Begabung wird aber in den meisten Spielsportarten benötigt. Wer wissen möchte wie trotzdem die Ausdauer optimal und effizient trainiert werden kann – ohne Einbußen in der Hauptsportart – sollte dieses Kapitel unbedingt lesen. Es ist nichts neues und vieles ist bekannt, aber nur wenige haben dies so gut auf den Punkt gebracht wie Boyle. Natürlich sind auch in diesem Kapitel wieder viele pauschal Aussagen, die nicht immer zutreffen können. Nichtsdestotrotz ist das Programm von Boyle sehr gut und einige Spielsportler sollten über ihre Ausdauereinheit noch einmal nachdenken.
Kapitel 7, 8 und 9: Athletiktraining, Trainingsgeräte und Übungsformen
In diesem Kapitel geht Boyle besonders auf Übungen ein, die im Athletiktraining ausgeführt werden bzw. nach seiner Meinung verwendet werden sollten. Die erste Übung ist das Gewichtheben. Diese Beschreibung ist mit 4,5 Seiten (wenn das Reißen mit einbezogen wird) besonders ausführlich. Anschließend geht es um Geschwindigkeiten, Beuschleunigungen und Balancetraining, was aus meiner Sicht besonders für Spiel- oder Kampfsportler von Interesse ist.
Das achte Kapitel „Trainingsgeräte“, hätte Boyle sich sparen können. Dies ähnelt mehr einer Produktvorstellung mit dem Ziel des Verkaufes. Besonders weil immer wieder die Markennamen und der Onlineshop von Perform Better genannt werden.
Das neunte Kapitel „Die Übungsformen: Grundlagen und einbeiniges Training“ ist wieder fesselnd und gut beschrieben. Es werden viele Tipps gegeben und Vergleichswerte genannt. Sportler können ihr Leistung mit diesen Zahlen gut einschätzen und Trainer können vielleicht den ein oder anderen Tipp verwenden, wenn identische Probleme bei ihren Kunden auftreten. Die einbeinige Kraft (Boyles Steckenpferd) wird besonders genau und ausführlich beschrieben.
Kapitel 10: Zusammenstellung von Trainingsprogrammen…
ist wieder etwas kritisch zu betrachten. Die Aussagen sind mal wieder zu pauschal und alle Athleten werden mit dieser Vorlage über einen Kamm geschert. Es beginnt bei der Zielsetzung: Ziel 1: Verletzungen im Training vermeiden, Ziel 2: Verletzungen im Wettkampf vermeiden und Ziel 3: Leistungsfähigkeit steigern. Wie schon erwähnt bin ich der Meinung, dass dies nur bei Hochleistungssportlern angewendet werden kann, die bereits eine sehr hohe Leistungsfähigkeit haben. Wenn die Leistungsfähigkeit bei aufstrebenden Sportlern nicht weiter vorne angesetzt wird, werden diese gar nicht dazu kommen einen Wettkampf zu absolvieren. Ein Kraftdreikämpfer (90kg Körpergewicht) sollte bevor er einen Wettkampf absolviert schon einmal die 100kg im Bankdrücken geknackt haben, alles andere wäre ein wenig peinlich. Eine zu große Angst vor Verletzungen macht einen nur schwächer und bringt die Leistung nicht voran. Natürlich sollte kein Athlet und keine Athletin ein unnötiges Risiko eingehen. Wer sich jedoch im Training nicht traut an seine Leistungsgrenzen zu kommen wird kaum eine Leistungssteigerung erfahren. In diesem Kapitel sind aber auch ein paar Überschriften sehr interessant. Diese haben meine Neugierde geweckt, besonders weil ich unbedingt wissen wollte, was Boyle zu diesen Themen sagt.
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„Trainieren Sie explosive Bewegungen zuerst.“ (S. 166)
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„Setzen Sie Maschinen nur sparsam ein.“ (S. 167)
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„Trainieren Sie mit niedrigen Wiederholungszahlen.“ (S. 167)
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„Trainieren Sie mit höheren gewichten.“ (S. 167)
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„Verstehen und nutzen Sie das Tempo.“ (S. 168)
Sehr interessant ist der Teil „Zum Mythos des Hypertrophietrainings“ (S. 176). Die folgenden Überschriften wirken wieder ein wenig durcheinander und die Inhalte sind nicht wirklich strukturiert. Nichtsdestotrotz sind viele attraktive Betrachtungsweisen beschrieben, die jeder Trainer lesen sollte.
Kapitel 11 und 12: Beispielprogramme und abschließende Gedanken
Im 11. Kapitel sind Beispielprogramme vorgegeben. Diese Pläne scheinen während der Karriere von Boyle entstanden zu sein. Es ist mal wieder interessant diese zu lesen, wirklich nützlich sind sie aber natürlich nicht, da jeder Plan individuell sein sollte, dürfen diese auf keinen Fall einfach kopiert werden.
Kapitel 12 ist nur eine Seite lang und beinhaltet abschließende Gedanken. Diese Gedanken sind sehr persönlich und sympathisch. Boyle gibt Tipps für die Gestaltung eines Arbeitsalltages und beschreibt gleichzeitig sein Vorgehen. Seine goldene Regel zum Abschluss: Seien Sie ein 90%-Mensch. Wenn Sie versuchen eine Sache mit 100%iger Genauigkeit und Perfektion zu erledigen, dann kommen Sie nie ans Ziel. Es folgen Quellen zur Weiterbildung, Perform Better Werbung und das Register.
Fazit – Neue Trainingstechniken für Trainer und Athleten?
Nein, es gibt keine wirklich neuen Trainingstechniken! Alles ist bereits bekannt, allerdings nicht marktwirtschaftlich ausgeschlachtet. Ich habe mir das Buch gekauft, weil ich in meiner Branche mit vielen Trainer und Athleten über neue Trends diskutieren muss. Ich gebe zu, dass ich das Functional Training etwas kritisch sehe und wahrscheinlich auch etwas voreingenommen diese Buch gelesen habe. Trotz der ganzen Kritik ist dieses Buch für mich und mein Training sehr wertvoll gewesen. Ich denke, viele Trainer setzen das System von Boyle falsch um. Das Wichtigste am Training sollte immer noch das Training und nicht die Therapie sein. Trainer können so viele Trends, neue Übungen und neue Geräte mit in ein Training einbauen wie sie möchten, wenn die Belastungsreize nicht hoch genug sind, wird es nie zu einer Anpassung kommen. Trotz der ganzen Werbung für bestimmte Geräte und für Perform Better ist mir Michael Boyle während des Lesens sympathisch geworden. Jeder Trainer sollte, meiner Meinung nach, dieses Buch (kritisch) lesen und besonders Spielsportler sollten ihr Krafttraining – auch auf Grund dieses Reviews – hinterfragen.