Einen Ausgleich zwischen den einzelnen Muskelgruppen des Körpers zu schaffen, ist im Leistungssport aus gesundheitlichen Gründen ein wichtiges Trainingsziel. Dieses Ziel ist auch mit dem Breiten- und Gesundheitssport vergleichbar: Eine Kompensation der im Alltag auftretenden Belastungen zu erreichen.
Die olympische Devise „citius – altius – fortius“ („schneller – höher – stärker“) wird auch bei den Olympiaden die Athleten anspornen, im Wettkampf ihr Bestes zu geben. Um Topleistung zu erbringen, trainieren die Athleten verschiedenster Sportarten nicht nur ihre eigentlichen Wettkampfdisziplinen, sondern führen zusätzlich ein ergänzendes Krafttraining durch. Das ergänzende Krafttraining eines Leistungssportlers lässt sich grob in zwei Bereiche unterteilen: eine allgemeine Kräftigung aller Muskelgruppen und eine spezielle Kräftigung der leistungsrelevanten Muskulatur. Ein Paradebeispiel für die Notwendigkeit eines ergänzenden Krafttrainings im Leistungssport stellen die Sprintdisziplinen der Leichtathletik dar. Neben einer genetischen Veranlagung (schnelle Muskelfasern) und einem nahezu perfekten koordinativen Zusammenspiel der Muskulatur ist es vor allem eine hohe Kraft der Bein- und Rumpfmuskulatur, die für den Wettkampferfolg entscheidend ist.
Allgemeines Krafttraining
Wie sieht das allgemeine Krafttraining eines 100-Meter-Sprinters aus? Gerade für einen Leistungssportler ist ein allgemeines, den gesamten Körper umfassendes Krafttraining unerlässlich. Denn nur ein starkes, gut ausgeprägtes Muskelkorsett ist in der Lage, die hochintensiven Belastungen der Trainings- und Wettkampfsituationen zu tolerieren. Ähnlich zu Ihrem Training werden hier alle großen Muskelgruppen des Körpers gekräftigt. Eine weitere Zielsetzung kann beim allgemeinen Krafttraining des Leistungssportlers gegebenenfalls dem Entgegenwirken sportartspezifischer Dysbalancen zukommen. Dies bezeichnet ein Kräfteungleichgewicht von einem bestimmten Muskel (Agonist) und seinem Gegenspieler (Antagonist). Eine überproportionale Entwicklung von Asymmetrien kann unter Umständen zu Verletzungen oder Sportschäden führen.
Spezielles Krafttraining
Ohne die vorbereitenden Maßnahmen eines allgemeinen Krafttrainings wäre an ein spezielles leistungssportorientiertes Krafttraining gar nicht zu denken. Meist sind die Übungen des speziellen Krafttrainings den spezifischen Bewegungsabläufen der Disziplin angepasst. Werfen wir einen Blick auf die Trainingsziele des Sprinters: Einerseits möchte er den Fußabdruck bei jedem Schritt so kräftig wie möglich gestalten. Dazu benötigt er eine hohe Kraft. Andererseits soll diese hohe Kraft möglichst schnell entwickelt werden, um die Bodenkontaktzeit zu minimieren. Zur Entwicklung der hohen Kraft versucht der Sprinter, möglichst viele Muskelfasern gleichzeitig zu kontrahieren. Langfristiges Trainingsziel ist es, die maximale Kraftleistung zu erhöhen, indem er die vorhandene Muskulatur verstärkt aktiviert. Ein Muskelwachstum steht also bei ihm nicht unbedingt im Vordergrund. Für diese Art des Trainings muss der Sprinter ein sehr hohes Trainingsgewicht wählen.
Hohe und schnelle Kraftentwicklung sind zwei unterschiedliche Fähigkeiten, die gesondert trainiert werden müssen.
Bei der Entwicklung der schnellen Kraft steht dahingegen die Geschwindigkeit der Muskelkontraktion im Vordergrund. Eine schnelle Kraftentwicklung erhöht die leistungsbestimmende Sprintfähigkeit. Das Trainingsgewicht muss hierbei so gewählt werden, dass mehrere Wiederholungen mit möglichst maximaler Geschwindigkeit durchgeführt werden können. Dieses spezielle Krafttraining zur hohen und schnellen Kraftentwicklung unterscheidet sich deutlich von der allgemeinen Kräftigung der Muskelgruppen, welches Sie aus dem Breiten- und Gesundheitssport kennnt. Die Annahme, mit unterschiedlichen Trainingsmethoden verschiedene Formen der Kraft trainieren zu können, basiert auf Beobachtungen aus dem Leistungssport und empirisch gewonnenen Modellen.
Wettkampfvorbereitung
Das ergänzende Krafttraining des Leistungssportlers erfolgt in verschiedenen Vorbereitungsphasen, die zeitlich auf den Saisonhöhepunkt, wie beispielsweise Olympische Spiele im August, abgestimmt sind. Die Vorbereitungsphasen zielen darauf, durch die allgemeine und spezielle Vorbreitung der Muskulatur die bestmöglichen Wettkampfgrundlagen zu schaffen. Die erste Vorbereitungsphase für Olympischen Spiele kann z.B. von Oktober des Vorjahres bis Januar des olympischen Jahres verlaufen und bereitet durch eine Betonung des allgemeinen Krafttrainings, also der Kräftigung aller wichtigen Muskelgruppen, die Höchstleistungen des Athleten vor. Nach einer kurzen Hallenwettkampfsaison kann sich beispielsweise bis Ende April eine zweite Vorbereitungsphase mit dem Schwerpunkt des speziellen Krafttrainings anschließen. Nahtlos folgt die Hauptwettkampfphase mit dem Höhepunkt der Olympischen Spiele.
Leistungssportorientiertes und gesundheitsorientiertes Krafttraining im Vergleich
Bezogen auf den Leistungssport liefert das allgemeine Krafttraining die Voraussetzungen sowohl für den Wettkampf als auch für das spezielle Krafttraining. Denn bei letzterem kommt es durch die hohen Gewichte und die schnellstmögliche Ausführung der Übungen zwangsläufig zu Belastungsspitzen. Ein leistungssportorientiertes Krafttraining ist immer auf die absolute Steigerung der Leistungsfähigkeit zugeschnitten, was oft mit einer überdimensionalen Steigerung der Verletzungsgefahr einhergeht. Hierbei können Überlastungsschäden am aktiven und passiven Bewegungsapparat auftreten. Besonders die ruckartige Bewegungsumkehr an den Anfangs- und Endpunkten belastet die Gelenke, Bänder und Sehnen stark. Das gesundheitsorientierte Krafttraining zielt auf eine bestmögliche Ausprägung der allgemeinen Leistungs- und Funktionsfähigkeit der gesamten Körpermuskulatur. Belastungsspitzen können unter anderem durch die langsame und kontrollierte Bewegungsausführung im 4-2-4 Sekunden-Rhythmus vermieden werden.
Sowohl hinsichtlich des Leistungs- als auch hinsichtlich des Gesundheitssports kann ein allgemeines, ausgewogenes Krafttraining der Muskulatur dazu beitragen der Ausbildung muskulärer Asymmetrien entgegenzuwirken. Es kann sowohl die Voraussetzungen für einen beschwerdefreien Alltag als auch für die erfolgreiche Umsetzung weiterführender sportlicher Ambitionen schaffen. Dass diese nicht nur gemäß der olympischen Devise den Sieg bzw. das Übertreffen seiner eigenen Leistung zum Ziel haben sollten, verdeutlicht ein Satz aus der Predigt von Ethelbert Talbot, Bischof von Pennsylvanien.
Anlässlich der Spiele von 1908 in London sagte er: „Teilnehmen ist wichtiger als gewinnen!“ Doch nur wer gesund ist, kann auch dabei sein!