Zeitgleich öffnen die ersten CrossFit-Gyms auch in Good Old Germany. Grund genug für eine neue fachliche Besprechung dieses us-amerkanischen Fitnessmarkenkonzepts.
Dänemark gilt seit je her als nah verbunden mit den USA. In Kopenhagen gibt es mittlerweile fünf (Stand 2010) CrossFit-Gyms. Dennoch sind einige Köpfe kritisch geblieben und haben das CrossFit-Konzept nicht unreflektiert 1:1 übernommen. Erik Kilstrup vom ehemaligen Paideia CrossFit-Gym betrachtet CrossFit-Kurse lediglich als Einstieg in die Welt des “funktionellen Trainings”. CrossFit ist aus seiner Sicht nicht die Lösung, es ist ein gutes Kurskonzept, um eine Basis für Athletiktraining zu schaffen.
Inhaltlich ist Turnen, Gewichtheben und Kugelhanteltraining auch in Deutschland nichts Neues, in jeder Turnhalle hat man das bereits in den 1970ern gemacht. Wir selbst haben vor zwanzig Jahren zu unserer Zeit als Leistungsruderer bzw. Leichtathlet ähnliche Zirkelprotokolle, Seilklettern, Gewichtheben etc….absolviert. In den hiesigen Sportvereinen schlummern also schon seit Jahrzehnten alle Möglichkeiten, um “CrossFit” zu machen. Das verstaubte Image der Sportvereine ist aber für die CrossFit-Zielgruppe unattraktiv und der Prophet im eigenen Lande ist bekanntlich auch nichts wert.
CrossFit ist also mehr als ein Trainingssystem, es ist ein Lebensstil (Lifestyle) mit seinen ganz spezifischen Eigenheiten, wie beispielsweise der Sprache. So lieben auch deutsche CrossFitter das Denglisch: Gewichtheben wird zu Weightlifting, die Kniebeuge zur Squat, das Kreuzheben zum Deadlift, die Kugelhantel zur Kettlebell, das Umsetzen zum Clean, .etc. Gegen “Hanging Power Clean” haben Begriffe wie “Standreißen aus dem Hang” bei den “Usern” und der “Community” natürlich keine Chance. Somit demonstriert allein schon die Sprache, dass die Verpackung oft mehr Wert hat als der Inhalt.
Folglich verwundert es nicht, dass das Durchschnittsalter der CrossFitter bei knapp unter 30 Jahren liegt. Es ist eben diese Zielgruppe, die in vielen öffentlichkeitswirksamen Lebensbereichen Wert darauf legt, am “Puls der Zeit” zu sein. Konsequenterweise gibt es natürlich “CrossFit Apps”, die ein individuelles Training versprechen. Wer die Eisenklinik kennt, der kennt auch unsere kritische Einstellung gegenüber kometenhaft am Horizont erscheinende Trends. Damit wir uns nicht falsch verstehen:
CrossFit ist grundsätzlich eine gute Idee…aber immer, wenn eine gute Idee zum Hype wird, ist gesunder Pessimismus angebracht.
Oft werden Begriffe inflationär und missverständlich gebraucht und Konzepte durch unbegrenzte Selbstdarstellungsmöglichkeiten (mit meist gestörter Selbstwahrnehmung einhergehend) im Internet verzerrt und FALSCH dargestellt. So entsteht ein Teufelskreis mangelnder und schlechter Bewegungstechnik, der sich gegenseitig verstärkt und befruchtet. Eine Vielzahl an wirklich motivierten Fitness-Sportlern und Athleten schaut sich Trainings- und Übungstechniken im Internet ab. Die Ergebnisse sind nicht selten – vorsichtig ausgedrückt – gesundheitlich bedenklich, wie unser beispielhaftes Video zeigt.
Auf der anderen Seite bekommen wir durch das Internet auch beeindruckende Übungsdemonstrationen von sehr talentierten und langjährig trainierenden Athleten zu sehen. Diese motivierenden Filme oder Bilder verleiten Viele zu unrealistischen Vorstellungen über die Erreichbarkeit bestimmter sportlicher Fertigkeiten.
Ein Beispiel: Einen Kreuzhang zu schaffen wird mit 99 prozentiger Wahrscheinlichkeit für Keinen zu realisieren sein, der nicht gewisse genetische Voraussetzungen, wie anthropometrische Merkmale oder Muskelfaserzusammensetzung erfüllt, das leistungsrelevante biologische Alter überschritten hat und nicht jahrzehntelange Trainingserfahrung besitzt. Was ebenfalls gerne übersehen wird: jeder Mensch verfügt über eine genetisch determinierte Belastungsverträglichkeit. Wenn Igor aus Rußland eine 64 kg Kugelhantel zur Hochstrecke bringen kann, ohne das sein Bewegungsapparat nach Jahrzehnten Schäden oder übernormalen Verschleiß aufweist, bedeutet das nicht, das es bei Egon in Deutschland bei 32 kg Kugelgewicht genau so ist. Zumal Igor vielleicht noch auf Weltmeisterschaften startet und Geld mit dem Sport verdient, so dass eventuelle leistungssportiche Schäden sich mit Meisterehren oder Geldsegen versüßen lassen.
Über die bedenklichen Nebeneffekte um die CrossFit Subkultur haben sich im deutschsprachigen Raum jedoch auch positive Entwicklungen auf diesem Sektor etabliert: Der Österreicher Dominik Feischl hat mit seiner Naturtrainingsseite ein besonderes Konzept geschaffen, welches vielleicht ein bisschen von der CrossFit-Bewegung inspiriert wurde, jedoch nie zu dessen unreflektierten Abklatsch wurde. Warum? Weil hier eigenständige Trainingsideen produziert werden. Sie mögen durch andere inspiriert worden sein, behalten jedoch ihren eigenen Charakter. Ähnliches gilt für den Kugelhantelspezialisten Till Sukopp. Mittendrin im Kettlebell-Trend schafft es Till, dem Training mit der Kugelhantel in Deutschland seinen persönlichen Stempel aufzudrücken, ohne einfach nur zu kopieren was andere machen.
CrossFit Trainingsinhalte
CrossFit beinhaltet
- Aerobe Ausdauer
- Anaerobe Ausdauer (Stehvermögen)
- Kraft, Schnellkraft und Kraftausdauer
- Schnelligkeit
- Beweglichkeit und Gewandtheit
- Koordination, speziell Gleichgewichtsfähigkeit und Bewegungsgenauigkeit
Aus trainingswissenschaftlicher Sicht ist CrossFit wohl das kompletteste Fitnessprogramm überhaupt. Kurzum, das Spektrum dessen, was wir als „Muskuläre Leistungsfähigkeit“ bezeichnen, wird mit diesem Training komplett abgedeckt.
Abb. 1: Das Spektrum der muskulären Leistungsfähigkeit (nach Knuttgen, H. G. (2007). Strength training and aerobic exercise: comparison and contrast. J Strength Cond Res, 21(3), 973–978).
Doch sind die Inhalte des Programms irgendwelche brandneuen Wunderübungen, zusammengefügt in einem geheimen Konzept? Ganz im Gegenteil: CrossFit kombiniert über Jahrzehnte bewährte Trainingsübungen aus Gewichtheben, Turnen, allgemeiner Athletik mit Sportarten wie Schwimmen, Laufen, Radfahren und Rudern. Im militärischen Bereich sind vielseitige Trainingsformen seit Jahrzehnten im Einsatz und haben sich als komplettes Konditionsprogramm bewährt.
Die hohen Anforderungen ergeben sich aus der technischen Komplexität der Übungen: Während Kniebeugen und Kreuzheben noch für manchen Fitnessstudiobesucher bekannt sind, hört es bei Übungen wie Reißen, Stoßen, Umsetzen, Überkopfkniebeugen, Dips und Klimmzügen an Turn-Ringen und Seil-Klettern bereits auf. Altbewährte Übungen wie Liegestütze, Handstand, Sprünge und Pirouetten würden in jedem Studio als Zirkusattraktion durchgehen.
CrossFit Methodik: Höher, schneller, weiter
Wie beschrieben ist CrossFit aus rein trainingswissenschaftlicher Betrachtungsweise ein absolut wünschenswertes Fitnesskonzept. Wie aber steht es um den didaktischen und methodischen Aufbau?
Problematisch erscheint uns vor allen die Kombination von komplexen Bewegungen aus dem Gewichtheben in Kombination mit hohen Wiederholungszahlen. Die (beabsichtigte) Ermüdung im anaerob laktaziden Bereich führt zu einer Verschlechterung der Technik und somit zu einer erhöhten Verletzungsgefahr. Da die meisten CrossFitter “glücklicherweise” nicht über die Physis verfügen, um ihren Körper akut zu schädigen, können die sich unter Ermüdung schlechter werdenden Bewegungsmuster dauerhaft im zentralen Nervensystem gespeichert werden, was langfristig zu Problemen und Verletzungen führen kann, die in diesem Artikel näher beschrieben sind.
Ein Gruppentrainingskonzept wie CrossFit wirkt motivational hervorragend, kommt aber im Zusammenhang mit zunehmender Komplexität der Übungen methodisch-didaktisch an seine Grenzen, so dass eine Beschränkung der Gruppengröße sinnvoll erscheint, um den Teilnehmern ausreichend persönliche Aufmerksamkeit und Korrektur geben zu können.
Vor den vielen positiven Dingen um CrossFit, muss auch die Nachhaltigkeit des Konzepts hinterfragt werden. So wusste Z-Health Kopf Dr. Eric Cobb aus den Vereinigten Staaten zu berichten, dass nur zwei Prozent aller neu eröffneten CrossFit Gyms innerhalb des ersten Jahres überleben. Schwierigkeiten, die Trainingsintensitäten alters- und leistungsgerecht zu steuern, seien dafür verantwortlich, dass der anfängliche Enthusiasmus vieler Mitglieder schnell verfliegt. Ein Grund für den spärlichen langfristigen Erfolg von CrossFit könnte auch in der “Pukie-Mentalität” zu sehen sein.
Sicherlich beinhaltet die alte Weisheit “Man weiß erst, was genug ist, wenn man weiß, was zu viel ist!” einen großen Funken Wahrheit. Nur sollte man anschließend danach handeln.