Heben gehört zum Leben. Somit kommt der Übung Kreuzheben (aka Lastheben) eine besondere Bedeutung zu, denn sowohl im Alltag als auch unter sportlichen Bedingungen, lassen sich die Bewegungsmuster der Kreuzhebens oft wiederfinden. Schon in den ersten Lebensjahren entdecken Kleinkinder durch aktive Exploration ihrer Umwelt von ganz alleine, wie sich Gegenstände, die manchmal so schwer sind wie sie selbst, am effektivsten heben lassen. Durch den passiven Lebensstil geht diese Fähigkeit bei Erwachsenen verloren. Grund genug für die Eisenklinik sich einmal näher mit dieser Bewegung zu beschäftigen.
Kreuzheben im Fokus der Wissenschaft
Die Datenlage zum Kreuzheben ist glücklicherweise sehr reichhaltig. Einen Auszug exemplarischer Untersuchungen und ihrer Kernaussagen soll im Folgenden dargestellt werden:
EMG Messungen der Muskelaktivität beim konventionellen Kreuzheben zeigen eine zweimal höhere Aktivierung der Mm. Erector Spinae im Vergleich zum Sumo Kreuzheben(Horn TS. A biomechanical comparison of sumo and conventional deadlifting techniques. Int J Sports Med 9: 150, 1988).
Rumänisches Kreuzheben aktiviert den m. Biceps Femoris stärker als Beincurls an der Beinbeugermaschine (Swain MA, Colker CM, Kalman DS, and Maharam LG. Electromyographic analysis comparing Romanian deadlift vs. leg curl in activating muscle fibers of the long head of the biceps femoris. Med Sci Sports Exerc 21: S55, 2000 ).
Eine vergleichende biomechanische Analyse von McGuigan und Wilson (Biomechanical analysis of the deadlift. J Strength Cond Res 10: 250–255, 1996 ), zeigte signifikante Vorteile von Sumo Kreuzheben aufgrund der aufrechten Oberkörperposition und einer geringeren Huböhe. Die Autoren stellten eine geringere Drehmomentbelastung zwischen L4/L5 bei der Sumovariante fest, was langfristig bedeutsam sein kann, wenn es um die Vermeidung von Sportschäden geht.
Escamilla et al. (A threedimensional biomechanical analysis of sumo and conventional style deadlifts. Med Sci Sports Exerc 32: 1265–1275, 2000 ) stellten fest, dass der Hubweg, die mechanische Arbeit und der berechnete Energieaufwand beim konventionellen Kreuzheben etwa 25 bis 40 Prozent größer sind als beim Sumo Kreuzheben.
Das beherrschen des rumänischen Kreuzhebens wird von einigen Autoren als grundlegende Fertigkeit zum Einstieg in das olympische Gewichtheben gesehen (Ebel K and Rizor R. Teaching the hang clean and overcoming common obstacles. Strength Cond J 24: 32–36, 2002; Frounfelter G. Teaching the Romanian deadlift. Strength Cond J 22: 55–57, 2000) , weil diese Übung die korrekten Bewegungsabläufe in langsamer Geschwindigkeit schult und die richtige Körperhaltung einschleift.
Variationen des Kreuzhebens
Die unten stehende Tabelle zeigt die verschiedenen Arten des Kreuzhebens mit kurzen Kommentaren zu deren Funktionen. Die Einsatzmöglichkeiten der einzelnen Varianten richtet sich nach den individuellen Voraussetzungen und Zielsetzungen des Trainierenden. Die Übergänge und Wirkungsweisen sind natürlich fließend, müssen jedoch zwecks Systematisierung klar von einander getrennt werden.
Variationen des Kreuzhebens (KH) | ||
Variante | Hauptmuskelgruppen | Bemerkungen |
Konventionelles KH | Gluteus, Quadrizeps, Hüftadduktoren, Wirbelsäulen aufrichtende Muskulatur |
Grundlegende Ganzkörperübung |
Sumo KH | Gluteus, Quadrizeps, Hüftadduktoren | Aufrechte OK-Position=> weniger Lumbalbelastung |
KH mit durchgedrückten Beinen | Gluteus, Quadrizeps, Hüftadduktoren, Wirbelsäulen aufrichtende Muskulatur |
Starke Entlosdodisierung der LWS, Oft fehlerhafte Durchführung, Kontraindiziert bei LWS Problemen |
Rumänisches KH | Ischiokurale Muskulatur Wirbelsäulen aufrichtende Muskulatur |
Grundlegende Ausgangsübung zum Erlernen des olympischen Gewichthebens |
KH aus erhöhter Position | Wirbelsäulen aufrichtende Muskulatur | Verbesserung des oberen Bewegungsabschnitts, schwerere Lasten möglich |
KH 1/3 | Gluteus, Quadrizeps, Hüftadduktoren | Bewegungsabschnitt nur bis zu Kniehöhe, Verbesserung des unteren Bewegungsabschnitts |
KH an der Multipresse | Gluteus, Quadrizeps, Hüftadduktoren, Wirbelsäulen aufrichtende Muskulatur |
Nicht zu empfehlen, da unnatürlicher Bewegungsablauf, weniger muskuläre Stabilisation, keine Übertragungseffekte |
KH mit Reißgriff | Oberer Rücken, Schultergürtel Wirbelsäulen aufrichtende Muskulatur |
Verbesserung der Schulerblattstabilisation, Zubringerübung für das Reißen |
KH mit Kurzhanteln | Gluteus, Quadrizeps, Hüftadduktoren, Wirbelsäulen aufrichtende Muskulatur |
Verbesserung der Schulerblattstabilisation |
Einarmiges KH | Bauchmuskulatur, Wirbelsäulen aufrichtende Muskulatur |
In Kombination mit einbeiniger Ausführung als „Funktionelles KH“ zum Auftrainieren der Roationsstabilität geeignet |
Ein-/ beidarmiges Koffer KH | Bauchmuskulatur, seitl. Rumpfmusk. Wirbelsäulen aufrichtende Muskulatur |
Als „Strong Man “ Training wie auch als „Funktionelles Training“ geeignet. |
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Zur Technik
Unabhängig davon, welches Bild die Körperhaltung von Außen abgibt, lassen sich drei Kriterien für eine sinnvolle Ausgangsposition festhalten (modifiziert nach Rippetoe, 2008):
- Der Rücken sollte in Extension gehalten werden (kurzer Lastarm, physiologische Belastung)
- Die Stange sollte die Schienbeine berühren (kurzer Lastarm)
- Die Schultern sollten sich leicht vor der Stange befinden
Zu 1: Abbildung 1 verdeutlicht, dass die Wirbelsäule in Extension den kürzesten Lastarm aufweist. Je stärker die Kyphosierung, desto länger der Lastarm, desto ungünstiger die Hebelverhältnisse. Die unphysiologische Belastung birgt zudem ein hohes Schadenspotential für die Wirbelsäule, die ursprünglich auf eine achsiale Belastung ausgelegt ist.
Zu 2: Mit zu großer Entfernung vom Schienbein wird der Lastarm unnötig lang. Neben dem ineffizienten Heben, ergibt sich dadurch ein höherer intradiscaler Druck auf die Bandscheiben. Eine Last von nur 20 kg, welche dicht am Körper gehalten wird, bewirkt eine Erhöhung des intradiscalen Druckes um ca. 220 % (Referenz 100 % stehend). Die gleiche Last 60 cm vom Körper entfernt gehalten, kommt auf 360 % des Ausgangsdruckes. Die gleiche Last 60 cm vom Körper entfernt, jedoch vom Boden anhebend summiert sich auf 460 % des Ausgangsdruckes (Zahlenangaben nach: Rohlmann A, Wilke H-J, Mellerowicz H, Graichen F, Bergmann G „Belastungen der Wirbelsäule im Sport“ (Übersichtsarbeit), Dt Z Sportmed 52 (2001) 118-123).
Zu 3: Wie wird die Kraft der Hüft- und Beinmuskulatur auf die Stange übertragen? Neben einer starken Rumpfmuskulatur ist eine gute Stabilisationsfähigkeit des Schulterblatts ein kritischer Punkt beim Kreuzheben. Da das Schulterblatt nur muskulär mit dem Brustkorb verbunden ist, sind die kleinen Stabilisatoren das schwächste Glied in dieser Bewegungskette. Eine zentrale Rolle spielt hierbei aber auch der Latissimus, welcher in der Position leicht vor der Stange am effektivsten stabilisieren kann.
Abbildung 2 veranschaulicht drei verschiedene Startpositionen, die sich alle nicht in den o.g. Kriterien unterscheiden. In der rechten Variante ist aber der Abstand zwischen Stange und Körperschwerpunkt am kürzesten, was eventuell einen mechanischen Vorteil bedeuten könnte.
Kardinalfehler
Abbildung 2 zeigt zudem einen oft gemachten Kardinalfehler im Kreuzheben, das sogenannte „Kisteschieben“. Dies bedeutet, dass die Hüfte sich streckt (Gesäß wird nach oben geschoben), die Stange jedoch bleibt an ihrer Position. Die Streckkraft der Hüftmuskulatur geht ins Leere und wird nicht auf die Stange übertragen. Ein ineffizientes Bewegungsmuster, dass durch eine entsprechende methodische Übungsreihe korrigiert werden sollte.
Das Portal zum olympischen Gewichtheben
Wie bereits erwähnt ist das einwandfreie Beherrschen der Hebetechnik ein entscheidendes Kriterium für das Erlernen des olympischen Gewichthebens. Dank us-amerkanischer Einflüsse ist auch in Deutschland das Interesse am Gewichtheben mit dem Ziel der Steigerung der allgemeinen Athletik gestiegen. Es muss jedoch betont werden, dass die Beherrschung des Gewichthebens deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt, als sämtliche andere Kraftübungen. Warum ist das so?
Gewichtheben ist nicht mit Krafttraining gleichzusetzen. Es ist eine eigenständie Sportart. Die Disziplinen Reißen, sowie Umsetzen und Stoßen sind in erster Linie spezifische Fertigkeiten und keine Kraftübungen. Sie lassen sich besser mit dem Erlernen anderer sportartspezifischer Fertigkeiten vergleichen, wie z. B. dem Salto beim Turnen, Golfschwung, Drehstoß beim Kugelstoßen, Fosbury Flop beim Hochsprung, usw.
Man erwartet diese Dinge nicht von heute auf morgen zu beherrschen und die Perfektionierung dieser Fertigkeiten ist ein lang andauernder Prozess. Krafttrainingsübungen lassen sich deutlich unkomplizierter erlernen und technisch leichter konservieren. Um das Reißen und Stoßen zu lernen, benötigt man durchdachte methodische Übungsreihen bis man für die Zielübung vorbereitet ist. Abbildung 3 zeigt eine beispielhafte 6 Stufen Übungsreihe für das Standumsetzen aus dem Hang. Die Abbildung veranschaulicht, welche Grundelemente Voraussetzung für die Anwendung der methodischen Reihe sind (Rumänisches Kreuzheben für die Hangposition und Kniebeugen vorn für die Umsatzposition). Erst dann macht es Sinn mit dieser Reihe zu starten.
Zusammenfassung
Kreuzheben ist eine elementare Bewegung im Sportart begleitendem Krafttraining, aber auch in Rehabilitation und Prävention, da eine Vielzahl von biomechanisch und neuromuskulär ähnlichen Bewegungsmustern im Alltag und Sport Kernelemente dieser Übung enthalten. Ein optimaler Nutzen kann jedoch nur mit einer optimalen Bewegungstechnik erwartet werden. Unabhängig davon ob das Ziel eine Leistungssteigerung oder gesundheitsorientiert ist: eine fachlich versierte Technikschulung und -überwachung ist die wichtigste Voraussetzung für die Erreichung der persönlichen Ziele.