Der Arthrokinetische Reflex

Der Arthrokinetische Reflex beeinflusst die Kraftentwicklung dramtisch und damit die die Effektivität des sportlichen Traininigs. Hier einige Hintergründe, um schneller neue Leistungsreserven zu erzielen.

Der Arthrokinetische Reflex (AK) (Arthro= Gelenk; Kinetik= Bewegung) wurde 1956 von einer Gruppe von us-amerikanischen Physiotherapeuten entdeckt. Sie fanden heraus, das bestimmte Gelenkbewegungen eine reflexartige Aktivierung bzw. Hemmung von Muskeln bewirkten. Vereinfacht gesagt beschreibt der AK fest verankerte neurale Schaltkreise (Reflexbögen), die durch Gelenkbewegungen ausgelöst werden. Dieser Reflexbogen ist ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite bewahrt er Gelenke bei angenommenen Gefahrenpotential vor Schädigungen, auf der anderen Seite kann der gleiche Schutzreflex die Kraftentwicklung in Training und Wettkampf drastisch herabsetzen, wenn er unnötigerweise aktiviert wird.

So funktioniert es

Durch eine Vielzahl verschiedener Arten von Rezeptoren sammelt das Nervensystem Informationen über externe und interne Reize, verarbeitet diese und veranlasst verschiedene Ausführungsprozesse. In Bezug auf Bewegung sind beispielsweise Informationen über die Körperlage, Gelenkwinkel und Geschwindigkeiten relevant. Diese Systemfunktionen werden als Propriozeption oder kinästhetisches Empfinden bezeichnet und sind eine unabdingbare Voraussetzungen für kontrollierte Bewegungen. Je besser dieses Zusammenspiel ausgebildet ist, umso besser die Bewegungsleistung.

Eine Menge an Informationen kommt von den Mechanorezeptoren, die sich als größtes Sinnesorgan des Menschen in den Muskeln, Sehnen, Faszien und Gelenken befinden.

Bewegt man sich in Training oder Wettkampf in einer Art und Weise, die das Nervensystem als Bedrohung  interpretiert, feuert das Rückenmark eine Salve von Nervenimpulsen an die Muskulatur, um die Kontraktionskraft drastisch herabzusetzen und somit den Bewegungsapparat vor der realen oder angenommenen Schädigung zu bewahren. Dieser „Shut Down Effekt“ hängt von der Qualität propriozeptiver Informationen ab, die dem Rückenmark zufließt. Ein Vergleich: Wie bewegt sich wohl eine Person, bei der die optischen und akustischen Informationen durch eine Augenbinde und Ohrstöpsel unterdrückt wurden?

Da das Nervensystem auf Schutz und nicht auf Leistungsmaximierung ausgerichtet ist bedeutet ein verminderter Informationsfluss durch die Mechanorezeptoren eine Verminderung von Kontraktionskraft, Bewegungsqualität und damit eine herabgesetzte sportliche Leistungsfähigkeit.

Woher kommt der Mangel an propriozeptiven Informationen?

Das fundamentale Gesetz der Adaptation gibt hier die Antwort. Die High-Tech Gesellschaft hat die Möglichkeiten für freie, vielfältige und natürliche Bewegung abgeschafft: Der Körper verliert durch Nicht-Gebrauch getreu dem „Use it Or Loose It“-Prinzip die sensorischen Fähigkeiten, welche für die Bewegungskontrolle so wichtig sind. Der Verlust an Körperkontrolle wird auch als sensomotorische Amnesie bezeichnet.

Eine weitere Ursache sind kompensatorische Bewegungsmuster, die sich aus früheren Verletzungen entwickeln und nach deren Abklingen einfach im motorischen Bewegungsgedächtnis eingespeichert bleiben – was dann wiederum zu anderen Verletzungen führen kann. Ausdauersport ist weniger zur Förderung der sensorischen Qualitäten geeignet, da die Bewegungsmuster stets die selben sind, begrenzte Bewegungsamplituden aufweisen und auf autonomer Ebene ablaufen. Für Ausdauersportler ist es daher sinnvoll ihr Training mit den am Ende dieses Artikels beschriebenen Strategien zu ergänzen, um leistungsfördernde Effekte zu erzielen.

Der damit verbundene Ausbau der motorischen Zentren des Gehirns, spiegelt sich im fundamentalen biologischen Prinzip der Neuroplastizität wider.

Arthrokinetischer Reflex in der Praxis

Insbesondere bei höheren Trainingsintensitäten reduziert sich bei vielen Athleten der sensorische Input und der AK springt unnötig früh als Leistungsbegrenzer ein. Je nach Literatur wird davon gesprochen, dass der Mensch willkürlich nur zwischen 30 und 50 Prozent seiner Muskelfasern aktivieren kann. Andere Autoren reden von 70 bis 90 Prozent. Nun, wie denn die genaue Zahl auch sei: In der Praxis verschenken wir Potential.

Pavel Tsatsouline, der russische Kugelhantel-Papst der Neuzeit formulierte treffend: „Deine Muskeln haben die Fähigkeit ein Auto zu heben. Sie wissen es nur noch nicht“.

In der Praxis verwenden wir zwei Strategien dramatische Leistungsverbesserungen durch das Hinausschieben des AK zu erzielen:

1) Training der aktiven Gelenkbeweglichkeit

2) Durchdachte Übungspraxis: Kraft als Fertigkeit

Strategie 1: Training der aktiven Gelenkbeweglicheit

Traditionell wird Gelenkbeweglichkeit als Bestandteil von Aufwärmprogrammen zur Verbesserung der Beweglichkeit, Verletzungsprophylaxe und „Schmierung“ der Gelenke durch Aktivierung der Synovialflüssigkeit eingesetzt. Doch die Möglichkeiten von aktiver Gelenkbeweglichkeit  gehen weit darüber hinaus: Korrekt absolvierte Übungen bewirken einen propriozeptiven Trainingseffekt, der die Bewegungssoftware des Körpers aufwertet.

Der Z-Health Ansatz für die Benutzung von speziellen Übungen hat das Ziel die neurale Signalqualität des Zentralen Nervensystems (ZNS) zu verbessern. Jede Übung wird in allen möglichen Bewegungsrichtungen, sowie in verschiedenen Bewegungsgeschwindigkeiten absolviert, um die vollständige Bewegungskontrolle zu erlangen. Aus Sicht der neurowissenschaftlicher Sicht schaffen wir dadurch ein besseres Abbild (engl. Map) des Körpers  im Gehirn.

Diese scheinbar „simplen“ Übungen erfordern jedoch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration. Aus meiner täglichen Arbeit kann ich folgendes berichten:

Die Fähigkeit zur völlige Fokussierung auf eine einzige Sache fällt vielen Menschen in unserer lauten und grellen Multitasking-Gesellschaft sehr schwer.

Korrekt angewandtes Training der aktiven Gelenkkontrolle ist eine der schnellsten Wege die negativen Effekte des AK zu vermindern und die Leistungsfähigkeit zu steigern. Da das ZNS das am schnellsten reagierende System im Körper ist, kann ein spezielles Training viele Bewegungs-Kompensationen und sogar Schmerzen in kürzester Zeit – oft schon nach wenigen Minuten – positiv beeinflussen.

Das Erlernen zur willkürlichen Steuerung einzelner Gelenke benötigt ein akurates Vorgehen. Es sollten einige Regeln beachtet werden, damit die bestmögliche Leistungssteigerungen erreicht werden:

  • Jeden Gelenkbereich ansprechen, vor allem Hände, Füße und Wirbelsäule
  • Spezifisch genug, um zu gewährleisten, das jedes Gelenk in allen Richtungen bewegt wird
  • Verschiedene Bewegungsgeschwindigkeiten, wodurch eine maximale Kontrolle und Koordination erreicht wird
  • Qualität, nicht Quantität: Perfekte Ausführung geht vor viele Wiederholungen

Strategie 2: Kraft als Fertigkeit

Wenn man im Internet über Krafttraining liest, hört man in der Regel von Dingen wie verschiedenen Satz- und Wiederholungs-Schemata, neuen „Wunderübungen“, Ernährungstricks, Supplementen, komplexen Periodisierungsmodellen und geheimnisvolle Studien, welche die Wirksamkeit von irgendwelchen Krafttrainingsprogrammen auf ein völlig neues Niveau heben sollen. Das Problem daran ist jedoch: diese „Trainingskultur“ verkennt mit ihrer Suche nach Geheimnissen und Neuigkeiten, dass es im Wesentlichen auf die Qualität und Kontinuität der Dinge ankommt, die man im Training leistet. Das Elemtarteilchen des Trainings ist die Wiederholung. Hier beginnt der Qualitätsgedanke.

Somit macht auch die Ausführungsqualität jeder einzelnen Wiederholung den größten Unterschied zwischen Fortschritt und Stagnation. Bei Z-Health wird dies „Perfect Rep Principle“ genannt. Wie bereits erwähnt ist es für die meisten aufgrund mangelnder Konzentrationsfähigkeit das größte Problem, weshalb sie lieber im Internet nach Geheimnissen und Wunderdingen suchen, statt sich in Konzentration zu üben und einfach mal das Schmierphone aus der Rechweite Ihres Körpers legen.

Nach der Wiederholung als elementarer Baustein von Trainingsqualität folgt die gesamte Bewegung, die in der Praxis als Übung bzw. Fertigkeit trainiert wird. Die Sportwissenschaft unterscheidet die Begriffe Fähigkeiten und Fertigkeiten. Als (konditionelle) Fähigkeiten werden hier Kraft, Ausdauer oder Schnelligkeit kategorisiert. In dieser Kategorie wird Kraft als „die Fähigkeit des Nerv-Muskelsystems durch Innervationsprozesse Widerstände zu überwinden, ihnen entgegen zu wirken oder sie zu halten“bezeichnet. Je nach Literatur findet man noch unterschiedliche Einteilungen der Kraft in Schnellkraft, Kraftausdauer, Explosivkraft, Startkraft oder Reaktivkraft.

Einige Experten und Trainer streiten über die Brauchbarkeit dieser Definitionen und Einteilungen, denn in der Praxis gibt es kein isoliertes Training der Kraft. Kraft ist danach immer an eine Bewegung, bzw. Fertigkeit gekoppelt.

Unter Fertigkeiten fallen sportliche Techniken, wie z.B. der Fosbury-Flop im Hochsprung, die Schwungstemme im Turnen, der Sprungwurf im Basketball, der Golfschwung, das Bankdrücken, das einarmige Reissen mit der Kugelhantel (Snatch), Frontkniebeuge, etc.

Wenn ich bei einer Übung stärker werde bedeutet dies, dass ich diese Bewegung besser beherrsche.

Neben diesen Lerneffekten kommte es je nach Anforderung auch zu strukturellen Veränderungen des Körpers. Wenn ich einen Kreuzhang an Turnringen absolvieren kann, bin ich ungemein stark. Es bedeutet jedoch nicht, dass ich auch das doppelte meines Körpergewichts beim Lastheben schaffe. Wenn ich mit der Langhantel 150 kg beim Lastheben schaffe, bedeutet dies noch lange nicht, dass ich automatisch 80 kg umsetzen kann, obwohl es in Teilbewegungen Übereinstimmungen gibt. In diesem Zusammenhang bemerkte mein Freund Harald Gärtner treffend: „Kann ich die Fähigkeit in eine Fertigkeit transferieren?“. Inwiefern sich abstrakte Kraftleistungen auf andere übertragen lassen ist eine grundlegende sportwissenschaftliche Frage. Die Übergänge sind hier sicherlich fließend. Generell gilt jedoch:

Je höher das Qualifikationsniveau des Athleten, desto spezifischer muss das Training sein. Übertragungseffekte werden hier zunehmend geringer

Fazit

Kraft als Fertigkeit zu behandeln bedeutet die Bewegungspräzision in den Vordergrund zu stellen. Eine ausgeprägte Körperkontrolle durch Körperwahrnehmungstraining schafft ein Optimalverhältnis zwischen gezielter Spannung und Entspannung. Spannung ist auf der einen Seite absolut notwendig, um maximale Muskelaktivität zu bewirken, auf der anderen Seite führt unangebrachte Spannung zu einem erhöhten Energieverbrauch, ruft die Bedrohungsregulation des ZNS auf den Plan und kann einen überreagierenden Athrokinetischen Reflex auslösen.

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