In der sportlichen Praxis fallen die Trainingsergebnisse, trotz gewissenhafter Planung und Befolgung der Trainingsmaßnahmen, höchst unterschiedlich aus. In diesem Beitrag werden bisher wenig beachtete Aspekte einer individualisierten Trainingssteuerung aufgegriffen.
Das zeigt die Wissenschaft
Eine finnische Studie (Karavirta et al., 2011) konnte eindrucksvoll zeigen, wie unterschiedlich die Resultate bei einem standardisierten Trainingsprogramm ausfallen können. 196 untrainierte Probanden im Alter zwischen 40 und 67 Jahren absolvierten entweder ein Kraft-, ein Ausdauer-, oder ein Kombinationstraining aus beidem. Für 21 Wochen trainierte die Kraft- und Ausdauertrainingsgruppe je zwei mal pro Woche, die Kombinationstrainingsgruppe vier mal pro Woche. Die Ernährung war bei allen Gruppen gleich. Nach 21 Wochen Training kam es zu höchst interessanten Ergebnissen: Ein Drittel der Probanden zeigte Kraftsteigerungen von durchschnittlich 50 bis 60 Prozent. Ein weiteres Drittel kam auf etwa 15 Prozent und beim letzten Drittel verschlechterten sich die Kraftwerte durch das selbe Trainingsprogramm! Die Ergebnisse zeigten dabei keinen Unterschied, ob nur das Kraft- oder das Kraft- und Ausdauertraining zusammen betrieben wurden.
Das zeigt die Praxis
Selbst im Leistungssport ist oft zu beobachten, dass viele Athleten nach standardisierten Programmen trainieren. Schlechte Ergebnisse werden fast nie auf die Trainingssteuerung zurückgeführt, sondern häufig auf mangelnden Fleiß oder fehlendes Talent.
Viele Trainer und Athleten orientieren sich in der Praxis immer noch am klassischen reduktionistischen Prinzip von Newton. Danach sind Ursache und Wirkung immer linear. Wenn etwas Training gut ist, dann ist doppelt so viel auch doppelt so gut, frei nach dem Motto viel hilft auch viel. In der Vergangenheit hat die eindimensionale Konzentration auf biomechanische oder strukturell energetische Ansätze, viele Trainer in eine Sackgasse geführt. Beispielsweise war das Prinzip der Superkompensation nach Jakowlew (1977) lange Jahre DAS Grundprinzip im Training schlechthin und wurde in der Praxis von vielen Trainern peinlichst genau befolgt.
Erst Ende der 90er Jahre kam dieses Modell zunehmend in die Kritik, weil die Wirklichkeit der Trainingsanpassungen im Sport wesentlich komplexer ist und eben nicht durch ein reduktionistisches Prinzip hinreichend abgebildet werden kann. Aus soziologischer Sicht müssen derartige Entwicklungen wohl dem Wunsch nach einfachen Antworten und Routinen zugeschrieben werden. Dies ist ja auch verständlich, denn mit der Suche nach Vereinfachungen, möchte man komplexe Dinge wieder überschaubar machen. Möglicherweise wird aus diesem Grund das Superkompensations-Prinzip immer noch in vielen Ausbildungen gelehrt, ohne es kritisch zu hinterfragen und vor allen Dingen, ohne alternative Modelle aufzuzeigen.
In der Trainingslehre gibt es längst Modelle, welche die komplexen und nichtlinearen Anpassungsvorgänge viel besser darstellen können. Für den Trainer in der Praxis ist dabei entscheidend, das es mehrere Modelle gibt, welche bestimmte Aspekte von Trainingsanpassungen gut abbilden können. Zwei übergeordnete Grundsätze möchte ich in diesem kurzen Beitrag erwähnen.
Mensch oder Maschine?
Wie kann man sich nun die Komplexität von Trainingswirkungen besser vorstellen? Heinz von Foerster (1988) prägte die Begriffe der trivialen und nicht-trivialen Maschine. Hiermit ist nicht wirklich eine Maschine gemeint, sondern eine bestimmte Art zu denken. Das Prinzip der trivialen Maschine geht von einer einfachen und klar vorhersagbaren Funktionsweise aus. Das „Innenleben“ der Maschine ist vollständig analysierbar und damit auch vollständig zu verstehen. Unsere praktischen Beispiele vom Anfang haben ja bereits gezeigt, dass dies auf das System Mensch und Training nicht zutreffen kann. Hohmann, Lames & Letzelter (2010) weisen in ihrem trainingswissenschaftlichen Standardwerk auf folgende nicht-lineare Punkte hin:
- Bereits biochemische Regulationsprozesse auf Zellebene laufen nicht nach dem immer gleichen Ursache-Wirkungs-Prinzips ab
- Globale körperliche Anpassungsprozesse haben individuelle Verläufe, die u.a. vom Alter, Trainingszustand, Art der Trainingsbelastung, Rhythmus von Belastung und Erholung, Umweltbedingungen, aktueller psychischer Verfassung, usw. abhängig sind.
Die Autoren sehen diese beiden Aspekte nicht nur als vereinbar mit dem Komplexitätseigenschaften und der Dynamik im Training, sondern ebenso mit den folgenden praktischen Erfahrungen:
sportliche Topform …
- lässt sich von beliebigen Anfangszuständen erreichen
- komplettiert sich auch bei unvollständigen oder leicht variierenden Reizen
- erlaubt Toleranzbereiche innerhalb derer man gleiche Trainingswirkungen erzielen kann.
Schlussfolgerungen für die Trainingspraxis
Im Sinne einer ganzheitlichen Trainingssteuerung muss sich der Trainer des komplexen Zusammenwirkens unterschiedlicher Faktoren bewusst sein. Der Mensch ist eben nicht programmierbar wie eine Maschine, daher ist das setzen von Trainingsreizen keineswegs mit automatischen und exakten Anpassungen verbunden. Eine übergeordnete Handhabung der beschriebenen Dynamiken im Trainingsprozess kann durch das Modell der synergetischen Trainingssteuerung kompetenter beschrieben werden. Synergetik ist die „Lehre vom Zusammenwirken“.
Innerhalb dieser Systematik wird Belastung mit einfachen Kontrollparametern dargestellt, die nicht unbedingt exakt dosiert werden müssen, Sie müssen lediglich dazu geeignet sein, die nötigen Selbstorganisationsprozesse auszulösen, die durch den Trainer und Athleten anhand der individuellen Beanspruchungsfolgen kontrolliert werden. Damit ist dieses System also keineswegs ein klassisches Regelkreismodell, sondern operiert mehr nach den Grundlagen der Fuzzy-Logik.
Die synergetische Betrachtungsweise des Trainings hat eine höhere Erklärungskompetenz für die komplexen Trainingsanpassungen. Konkrete Praxisbeispiele erwarten dich in der aktuellen Ausgabe unseres eMagazins.
Studie
Karavirta, L. (2011). Cardiorespiratory, neuromuscular and cardiac autonomic adaptattions to combined endurance and strength training in ageing men and women. Jyväskyla University of Jyväskyla. (Studies in Sport, Physical Education and Health, ISSN 0356-1070;162)