Keinesfalls nur etwas für Bodybuilder. Der moderne Muskelkult hat viele Facetten und eine spannende Entwicklungsgeschichte. Wer die heutige Fitness-und Körperkultur verstehen will, kommt um dieses Buch nicht herum.
Die Fitnessbewegung und der Körperkult hat in unserer westlichen Kulturlandschaft einen festen Platz eingenommen. Doch wie ist die kommerzielle Fitness-Schiene überhaupt entstanden und welche Rolle hat dabei der Kraftsport gespielt? Der Darmstädter Sportwissenschaftler Mischa Kläber analysiert in seinem Werk die Entwicklung des heutigen Bodybuildings aus sozialwissenschaftlicher Sicht.
Der Leser erhält eine detaillierte Aufarbeitung von den vormodernen Formen des Krafttrainings zu den Frühformen des Bodybuildings und seinem Herkunftsmillieu, dem Zirkus und Varietee. Beeindruckend die vielen Details, die auch bis dato Unbekanntes über Eugen Sandow, den vermeintlichen Vater des Bodybuildings preisgeben.
Kläber geht dabei sehr differenziert vor. Wir erfahren, wie die sich Evolution von Athletikschulen über Muckibuden zu den High-Tech-Studios und der Kommerzialisierung der Fitnessbewegung vollzog. Nicht zuletzt widmet sich der Autor auch der sehr emotional geführten Diskussion, ob Bodybuilding überhaupt eine Sportart sei.
Spannend sind die Ausführungen zur Entwicklung der Identität der Kraftsportler und ihrer Ausdifferenzierung vom Allround-Kraftsportler, mit Gewichtheben, Bodybuilding, Ringen, Turnen, Yoga und Kampfsportarten, bis hin zur Spezialisierung und Ausbildung einer Bodybuilding Hardcore-Szene und dem Massenphänomen Fitness. Überzeugend wirken nicht nur die Darstellungen der Antriebsmotive zeitgenössischer Bodybuilder, sondern ebenso die Beschreibungen unserer heutigen, teils grotesken Fitnessbewegung.
Eine Kostprobe: „Auf der anderen Seite werden durch die Fitness-Studioleitung Parkplätze in unmittelbarer Studio-Nähe geschaffen, damit alle Mitglieder ohne größeren Laufaufwand und mit ruhiggestellten Körpern in Sitzposition regelrecht in Fitness-Studio hineinfahren können, um sich in besagtem Sonderraum sodann unter extremen Körpereinsatz auf dem Fahrradergometer ins Schwitzen zu bringen“.
Unter Bezugnahme auf George Ritzers „Die McDonaldisierung der Gesellschaft“ greift Kläber dessen gesellschaftskritische Thesen auf und überträgt die dort dargestellten Rationalisierungs- und Produktionsprozesse auf die Trainingsstrategien im Bodybuilding und teilweise auch auf die Fitnessbranche. Das auch die Fitnessindustrie den Menschen nur als passiven Konsumenten, dem möglichst viel verkauft werden soll sieht, sollte selbst dem naivsten Leser im Abschließenden Kapitel klar werden. Hier wird auch die Kritik am US-amerikanischen Kulturimperialismus und dessen Ignoranz gegenüber anderen (Sport)-Kulturen lässt sich durchaus daraus ableiten.
Sieht man einmal vom ersten Kapitel ab, dass man als Nicht-Soziologe getrost vernachlässigen kann, ist “Moderner Muskelkult“ von Mischa Kläber nicht nur ein äußerst lehrreiches, sondern obendrauf noch unterhaltsames Buch, dass in seiner analytischen Art in manchen Bereichen sogar ironisch rüber kommt. Sehr empfehlenswert!
Erschienen im Transcript-Verlag