Normalerweise bringen Berichte über die FIBO meist nur Pseudoneuigkeiten hervor. Sprichworte wie „Alter Wein in neuen Schläuchen“ oder das neu erfundene Rad, welches immer noch rund geblieben ist, passen eigentlich immer in ein solches Fazit. Aus diesem Grunde habe ich mir überlegt, einen FIBO-Bericht aus der Sicht eines Zeitreisenden zu schreiben, der 100 Jahre aus der Vergangenheit in das heutige Jahr 2014 reist und einen Rundgang über die FIBO macht.
Der moderne Tempel
Meine heutige Zeitreise befördert mich in das futuristisch anmutende Köln 2014. Ich stehe in mitten einer großen Menschenmenge im Eingangsbereich eines unglaublich großen Gebäudekomplexes. Vorhin fragte mich ein Junge, ob ich auch zur Messe gehen würde. Offensichtlich hat die katholische Kirche in den letzten hundert Jahren einen enormen Zulauf erfahren, wenn sich so viele Gläubige auf den Weg zur heiligen Messe machen. Die Bauform der Kirchen hat sich offenbar ebenfalls verändert.
Der Jahrmarkt
Was ich dann im Inneren dieser modernen Gotteshäuser zu sehen bekomme, gleicht eher einem Jahrmarkt. Zahlreiche Schauspieler, Artisten und Künstler stellen hier ihre Kunst unter Beweis. Nein, eine Kirchenhalle kann das unmöglich sein. Es muss sich um eine Art modernen Körperkult handeln, dem hier überall gehuldigt wird. An allen Ecken werden verschiedene Körperpraktiken vollzogen, die so ähnlich aussehen wie Sport. Meine Feldstudien haben ergeben, dass körperliche Arbeit in dieser Epoche durch eine vollständige Technisierung kaum mehr mehr existiert. Die Bequemlichkeit hat offensichtlich gesiegt und statt ihre Kinder oder Haustiere, streicheln die Leute hier ständig kleine Kästen mit ihrem Zeigefinger und können ihren entzückten Blick kaum von diesen faszinierenden kleinen Schachteln lassen. Zuweilen werden diese kleinen Dinger, wie bei einem Gebet, sogar in die Höhe gehalten und fangen an zu leuchten! Ich denke die Leute beten dieses kleine Etwas einfach an. Auf jeden Fall hüten sie es, wie ihren Augapfel.
Die Arbeiterklasse
Die fehlende körperliche Arbeit holt man sich im 21. Jahrhundert auf andere Art und Weise: Es gibt in diesen Hallen eine ganze Reihe furchterregender Maschinen, an dem sich die Leute freiwillig selbst quälen, ohne ein erkennbares Produkt daraus zu schaffen. Auch werden Sie für diese Schinderei nicht mit Geld bezahlt, sondern ganz im Gegenteil: Sie zahlen auch noch freiwillig Geld dafür, um ihren Körper auf das äußerste zu fordern. Sehr verwirrend. Offensichtlich sind die muskulösen Körper, die hier überall herumlaufen das Ergebnis dieser Schinderei. Was sich im Vergleich zum früheren Jahrhundert zumindest nicht geändert hat ist, dass diese extremen Schwerarbeiter und Amazonen nach wie vor dem bildungsfernen Milieu entstammen. Meistens jedenfalls.
Die Alchemisten
Eine weitere Beobachtung, die ich machen konnte ist, dass Deutschland wahrscheinlich einen Krieg verloren hat und in der Zwischenzeit zu einer Enklave der USA oder Großbritanniens geworden ist. Die deutsche Sprache hat sich dramatisch verändert. Auf einem Podium kann ich erkennen, wie ein rhetorisch geschulter Redner die Zuhörer in seinen Bann zieht. Ich höre zu und lerne: Er zeigt sieben Gymnastikübungen und nennt sie „Bewegungsmuster“. Bei richtiger Beobachtung sollen diese Gymnastikübungen besondere Erkenntnisse über den Menschen preisgeben. Die Zuhörer nicken aufmerksam und schreiben mit.
Scheinbar handelt es ich hier um die moderne Form eines Alchemisten, der sich einer verschlüsselten Sprache bedient und auf den Jahrmärkten den Zuhörern gegen einen Obolus anbietet, sie in die Geheimnisse seiner Kunst einzuweisen. In diesem Falle sieben Gymnastikübungen, die eine Form der Gesundheit und Leistungsfähigkeit versprechen. Zumindest die Alchemisten haben sich in 100 Jahren nicht verändert. Das gibt mir wieder etwas mehr Sicherheit, denn in einer anderen Halle treffe ich die Sorte Alchemisten, die sich auf den Verkauf von kraftbringenden Pülverchen, Tinkturen und Pillen spezialisiert haben. Begeistert stelle ich fest, dass die Wirkungen des Lebertrans nun in einer wohlschmeckenden Pulverform genießbar sind. Auch die Kraft des Stierhodens ist in Tablettenform erhältlich. Das finde ich wirklich positiv.
Die Geldadeligen
In der nächsten Halle stoße ich auf völlig andere Zeitgenossen. Hier laufen keine muskulösen Schwerarbeiter und Amazonen herum. Keine Spur von Schweiß und harter Arbeit. Ich vermute diese Geräte richten sich an eine soziale Schicht, die sich einen Andonis-Körper wünscht, aber nicht bereit ist die Schinderei der Arbeiterklasse in Kauf zu nehmen. Dieser Wohlfühltempel zeigt mir: hier muss sich der Geldadel aufhalten. Und das einen Steinwurf vom Arbeiter-Milieu entfernt! An jeder Ecke vernehme ich etwas von einem sogenannten „Netzwerken“. In der Zukunft scheint „Netzwerken“ irgendetwas ziemlich wichtiges zu sein. Durch meine Beobachtungen schließe ich, das „Netzwerken“ so viel bedeutet wie „alle kennen, nichts können“.
Die Intelligenten
Die nächste Halle kommt einem Jahrmarkt am aller nächsten. Hier gilt das Motto auffallen um jeden Preis. Wie es sich für einen Jahrmarkt gehört, versuchen die Schausteller an den Buden sich durch ihre Lautstärke gegenseitig zu übertrumpfen. Sie simulieren gesellschaftlich verdrängte Bewegungsabläufe, die sie „Functional Training“ nennen und belastbarer im Alltag machen soll. Hmm, merkwürdig, bisher habe ich nur feststellen können, dass die Leute hier nur in Autos, auf rollenden Treppen, oder an Rechenmaschinen hängen. Oder sie langweilen sich beim „Netzwerken“. Wofür sollen sie eigentlich belastbarer werden? Da muss ich doch mal weiter nachforschen.
Ein Teilnehmer erzählt mir stolz, er habe extra einen Gärtner für das Umgraben seines Gartens eingestellt, damit er hier an einem sogenannten „Sandbag-Training“ teilnehmen kann. Ich versichere ihm meine Anerkennung für seinen klugen Schachzug und gehe weiter, denn auch einige Turner und Gewichtheber sind hier mit ihrer tollkühnen Kraftkunst zu bewundern.
Fazit meiner Zeitreise
Offensichtlich hat sich die Gesellschaft in den letzten 100 Jahren um ein System herum entwickelt, dass einen hohen und nicht abreißenden Konsum verlangt. Mensch, Sport und Bewegung haben einen Warencharakter angenommen, der jedes Jahr neu erfunden werden muss, um den Konsum hochzuhalten. Ich vermute auch, dass sich in diesem Jahrhundert der Kapitalismus zu einer Art Religion entwickelt hat, dem die Leute – angestachelt durch die Medien – bereitwillig dienen.
Trotz größter Absurditäten, scheint der Hordentrieb ziemlich ausgeprägt zu sein. Um nicht aufzufallen, werde ich versuchen mich hier anzupassen, obwohl es mir schwer fällt, nicht nach dem Sinn des Ganzen zu fragen.