Spieglein, Spieglein im Gehirn

Unser Gehirn kann durch Spiegelneurone simulieren, was andere tun. Das kann Lernen und Optimieren von Bewegungsabläufen im Sport verbessern.

Ein befreundeter Kletterer berichtete mir kürzlich über einen laufenden Scherz, der gerne in der Halle unter den erfahrenen Profis gemacht wird: „Nicht die Anfänger beobachten, sonst fangen wir noch an zu klettern wie sie. Besser die Experten mit ihren flüssigen Bewegungen und der hochentwickelten Koordination ansehen“. Dieser Aberglaube kann aus neurowissenschaftlicher Sicht durchaus zutreffen, denn unser Gehirn kann durch Spiegelnetzwerke simulieren, was andere tun.

Dieser Nachahm-Effekt wurde Mitte der neunziger Jahre zufällig in einem italienischen Neurowissenschaft-Labor entdeckt. Die Forscher machten Routineaufnahmen vom Motor-Cortex von Affen, um festzustellen welche Nervenimpulse bestimmten Bewegungen zugeordnet werden können. Eines Tages entdeckten sie, dass die an Messinstrumente angeschlossenen Gehirne der Affen, die Innervationsmuster von Bewegungen der Wissenschaftler widerspiegelten – ohne sich selbst dabei zu bewegen!

Folglich wurden die aktiven Neurone Spiegelneurone genannt. Gezielte Untersuchungen an Menschen konnten diese Entdeckung bestätigen. Hier setzte man die Probanden vor einen Videofilm, indem sie Bewegungen von Mund-, Händen und Füßen ansahen. Es konnte tatsächlich eine Hirnaktivität in der zugehörigen Region des Motor-Cortex gemessen werden. Diese sei zwar nicht so stark, als wenn der Proband die Bewegungen tatsächlich selbst ausführen würde, die Aktivitäten könne man jedoch als Trockenübung ansehen.

Das gleiche Prinzip wurde vom Neurologen Ferdinand Binkofski aufgegriffen und bei Schlaganfallpatienten eingesetzt. Vor dem eigentlichen Bewegungstraining sahen sich die Patienten Videosequenzen von für sie schwierigen Hand- und Armbewegungen an. Die Videotherapie verbesserte die motorischen Fähigkeiten von Schlaganfallpatienten schneller als reines Bewegungstraining.

Binkofski bemerkt in diesem Zusammenhang auch den Nutzen für den Sport. Er weist auf einen ganz entscheidenden Punkt hin: „Ganz unbekannte Koordinationen zu meistern, um z.B. eine neue Sportart zu erlernen, müssen sehr viel bewusster kontrolliert werden: Wer noch nie einen Aufschlag im Tennis serviert hat, bekommt dies kaum durch reines Beobachten und spontanes Imitieren hin“.

Für die Trainingspraxis ergibt sich daraus eine elementare Konsequenz:

 Die Aufgabe des Trainers ist es, das richtige Bewegungsprogramm durch eine effiziente Methodik zu initiieren. Je besser dieser Schritt realisiert wird, desto wirkungsvoller kann „Anschauungstraining“ eingesetzt werden.

Im Rahmen des Mentalen Trainings beschäftigt sich die Sportwissenschaft schon länger mit den Möglichkeiten von „planmäßig wiederholten Vorstellungen einer motorischen Fertigkeit“. Obwohl in jüngerer Vergangenheit der sportwissenschaftlichen Literatur der Begriff „Spiegelneurone“ nicht aufgetaucht ist, gab es bereits 2005 einen Vorschlag Mentales Training als neuronale Simulation zu verstehen. Die Sportwissenschaft bestätigt, dass eine Simulation motorischer Handlungen zu Leistungsveränderungen führen kann. Wichtigste Voraussetzung auch hier: Die Qualität des erlernten Bewegungsprogramms, bzw. der richtigen Bewegungsvorstellung. Der große Nachteil am Mentalen Training ist, dass kein Coach falsche Bewegungen in der Vorstellung korrigieren kann.

Somit bleibt die Aussage der Neurologen Ferdinand Binkofski und seines Kollegen Giovanni Buccino festzuhalten:

„Blinder Aktionismus ohne erkennbares Ziel könnte beim (Wieder-)Erlernen von Bewegungen weniger wirksam sein“.

 

Praktische Konsequenzen für sportliches Training

  • Das richtige Bewegungsprogramm, mit der richtigen Bewegungs-Erinnerung schaffen
  • Auf hundertprozentige Bewegungsqualität achten
  • Sofortkorrektur anwenden
  • „Lernen durch Fühlen Prinzip“ verwenden
  • Individualisierung der Technik berücksichtigen
  • Vorsichtig mit Internet-Videos als „Leitbild“ umgehen

 

Literatur

Binkofski, F., Buccino, G.: Der Nachmacher-Effekt Gehirn & Geist 10/2006 S. 41-43

Binkofski, F., Buccino, G.: The Role of Ventral Premotor Cortex in Action Execution and Action Understanding. In: Journal of Physiology 99(4–6), 2006, S. 396 – 405.

Erlacher, D.: Mentales Training als Simulation Zeitschrift für Sportpsychologie Volume 17, Number 3 / 2010, S. 69-77

Ertelt, D., Binkofski, F.: 2011, Handfunktionsstörungen in der Neurologie, III, S. 403-414

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