5 Regeln für effektives Gleichgewichtstraining

Eine gut funktionierende Gleichgewichtsfähigkeit ist ohne Zweifel eine wichtige Voraussetzung, um sicher durch das Leben zu kommen, denn Stürzen ist eine der größten Gefahren für den Menschen. Gerade für ältere Personen ist diese Tatsache von fundamentaler Bedeutung, da die Selbständigkeit im Alltag durch die latente Sturzgefahr stetig bedroht ist.

Balance_Heiduk_2Auch im Sport wird stets eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Gleichgewichtsfähigkeit verlangt. Plumpe, schwerfällige oder unrunde sportliche Bewegungen können das Ergebnis eines mangelhaft ausgebildeten Gleichgewichtssinns sein. Erhält das Gehirn fehlerhafte Informationen von den Vestibularorganen aus dem Mittelohr, kann die einsetzende Bedrohungsregulation aufgrund von Schutzreflexen zu Verspannungen führen, die den Körper vor der latent drohenden Sturzgefahr wappnen soll. Hohe Muskelspannungen schränken jedoch die Bewegungsreichweite ein, verbrauchen unnötige Energie und verringern die Eigenwahrnehmung. Der Athlet wird ineffizient.

Gleichgewichtsfähigkeit ist ein Konstrukt und lässt sich in der Praxis nicht generalisieren. Aus diesem Grund ist das Training der Gleichgewichtsfähigkeit im Sport immer an eine bestimmte Fertigkeit, und damit an abhängige Bewegungsmuster gebunden. Jede Gleichgewichts-Fertigkeit erfordert ein spezifisches Maß an Kraft, Schnelligkeit, Stabilität und Beweglichkeit. Gleichgewicht auf einem Surfbrett, Fahrrad, Kanu, Ruderboot, Slackline, Schwebebalken, Inline-Skates oder bei der Standwaage sind daher auch kaum untereinander übertragbar. Ihre Beherrschung ist das Ergebnis von individuellen motorischen Lernprozessen.

Eine allgemeine Gleichgewichtsfähigkeit kann es aufgrund der Spezifität von Bewegungsprogrammen nicht geben. Dennoch gibt es eine Reihe von vorbereitenden und ergänzenden Trainingsformen, welche für die Funktion des Zentralen Nervensystems und der Sinnesorgane förderlich sind. Zum Einstieg reichen Übungen aus dem Alltag völlig aus. Das Balancieren auf dem Bordstein oder der Rasenkante lässt sich prima in den Alltag integrieren. Auf der nächsten Stufe können die Augen dabei geschlossen werden und danach kleinere Unterstützungsflächen, wie schmale Mauern oder sogar Stangen angegangen werden.

Auf dieser Basis können dann sportartspezifische Übungen in das Trainingsprogramm eingebaut werden. Vom ehemaligen norwegischen Weltklasse-Hochspringer Steinar Hoen (Bestleistung: 2,36 m) wird berichtet, dass er Übungen auf dem Schwebebalken absolviert habe. Der dreifache Weltmeister im-Kugelstoßen Werner Günthör (Schweiz) stieß die Kugel im Training von einer umgedrehten Turnbank und stimulierte sein Vestibularsystem sehr vielseitig durch unterschiedliche Bewegungsvariationen.

5 Regeln für eine bessere Gleichgewichtsfähigkeit

  • Weniger ist mehr. Die Übungszeit auf 10-15 Minuten begrenzen. Verbesserungen lassen sich bereits nach wenigen Minuten erkennen, danach kommt es schnell wieder eine Verschlechterung der Leistungen.
  • Gleichgewichtsübungen in das Aufwärmprogramm oder in Alltagssituationen integrieren. Eine häufigere aber kürzere Anwendung führt schneller zum Erfolg.
  • Möglichst in ausgeruhtem Zustand üben. Fühlt man sich müde und unkonzentriert, ist das Gleichgewichtstraining sofort abzubrechen und zu einer Trainingsform zu wechseln, die auch im ermüdetem Zustand absolviert werden kann.
  • Wiederholen ohne zu Wiederholen: Ständige Variationen verbessern Lerneffekte und halten Interesse und Aufmerksamkeit auf hohem Niveau. Der Aufbau von Gleichgewichtsparkours bietet vielfältige Möglichkeiten der eigenen Kreativität freien lauf zu lassen.
  • Alle Sinneskanäle Nutzen: Durch Unterdrückung eines Kanals, wird der Athlet gezwungen andere Sinne stärker zu fokussieren und für die Absolvierung der Aufgabe einzusetzen. Das Üben mit verbundenen Augen wäre ein klassisches Beispiele dafür. Diese Strategie kann auch sportartspezifisch gut umgesetzt werden.

Die genannten Regeln beschreiben Praxiserfahrungen, die als grundlegende Prinzipien für die meisten Menschen Gültigkeit haben. Je nach Person und Situation ist eine höhere Individualisierung erforderlich. Dazu sind im Vorfeld Testungen der Gleichgewichtsfähigkeit und der Funktionstüchtigkeit des Vestibularsystems sinnvoll. So lässt sich in Zukunft leichter die Balance finden.

Ein Beispiel für (meistens) nicht zielführendes Gleichgewichtstraining: Wackeltraining

Oft werden in Zusammenhang mit Gleichgewichtstraining zahlreiche Übungen auf Wackelbrettern, Pezzibällen oder anderen instabilen Unterlagen propagiert. Hier muss hinterfragt werden in wie fern Gleichgewichtsübungen auf Bosubällen o.ä. als spezifisch einzustufen sind. Meistens werden hier Sturzprophylaxe, Verbesserung von Propriozeption und Gleichgewichtsschulung als alltags- und sportwirksame Trainingseffekte angegeben. Vor dem Hintergrund der Spezifität der Anpassung muss eine optimale Übertragbarkeit jedoch angezweifelt werden.In erster Linie wird man seine Gleichgewichtsfähigkeit auf genau diesen Bällen verbessern. Für die Übertragbarkeit auf andere Situationen muss getreu der o.g. Definition von Functional Trainig folgende Frage gestellt werden:

In welcher Alltags- und Sportsituation agieren wir auf einem wabbeligen Untergrund, dessen Oberfläche rutschfest ist? Dies trifft auf Wellenreiten oder Wasserski zu. Wenn wir bei einem Erdbeben flüchten müssen, herrschen ebenfalls ähnliche Bedingungen vor. Für alle anderen Situationen trifft dies nicht zu, da wir stets auf einem festen Untergrund agieren. Fast überall ist ein mehr oder weniger hoher Grad an Stabilität erforderlich. Unser neuromuskuläres System ist auf Bewegung auf stabilen Untergründen adaptiert. Das Wackeltraining verstößt jedoch gegen das fundamentale SAID Prinzip. Das Ergebnis ist: Die Instabilität des Untergrundes schafft eine neuromuskulär bedingte Instabilität des Rumpfes. Man bewirkt durch das „Wackelball“-Training den gegenteiligen Effekt eines Rumpfstabilistationstrainings.

Im Winter und bei Wintersportarten ist der Untergrund ebenfalls fest, die Oberfläche dagegen rutschig. Ein spezifisches Training zur Leistungsverbesserung oder zur Sturzprophylaxe sollte sinnigerweise auf Untergründen stattfinden, welche genau die gleichen Eigenschaften mitbringen.

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